Neue Horizonte – Teil 2
Nach dem bewusstseinserweiternden Sonntag schaffte ich es doch nicht, bereits zum ersten Licht um 4 Uhr aufzustehen und möglichen Restswell abzugreifen. Stattdessen öffnete ich um kurz nach 7 Uhr meine Bustür und warf einen Blick auf den Strand vor mir. Dort schälten sich immer noch lange linkslaufende Wellen über die Steinkante, allerdings waren die jetzt nur noch maximal kniehoch.
Der Forecast versprach für diese Ecke auch keine Besserung. Der Forecast für die dänische Nordseeküste sah dagegen vielversprechend aus. Ich begann Routen und Fahrzeiten (inklusive Fährzeiten) zu prüfen und kalkulierte, dass ich es wohl für eine Abendsession bis nach Thy schaffen könnte. Auf der anderen Seite hatte ich jetzt Unsummen an Fährkosten gelöhnt, um hier her zu kommen. Und ich wollte doch endlich einmal diese Ecke erkunden. Ich prüfte dann noch einmal den Forecast für die Ostseeküste. Hmm, kräftiger Südostwind über Nacht, allerdings nicht lange, am frühen Dienstagmorgen sollte es bereits wieder auf Südwest drehen. Aber alles sehr unsicher. Also konsultierte ich noch einmal meinen Joker. Der warf all seine Erfahrung in die Waagschale und empfahl mir rüber an die Ostseeküste zu fahren. Mit ein bisschen Glück und sehr frühem Aufstehen würde ich Restschwabbel bei Windstille oder sogar Offshore abgreifen können.
Also packte ich erst einmal mein Fahrrad und schlug mich durch die Wälder der Halbinsel zum Leuchtturm. Schöne Tour, auch wenn der Wanderweg teilweise nur schiebend zu bewältigen war. Am frühen Nachmittag machte ich mich dann auf den Weg gen Osten. Auf Goggle Maps waren die meisten Spots nicht zu finden, was wohl vor allem an den sonderbaren Schriftzeichen lag, mit denen die Ortsnamen gespickt waren. Doch mit ein bisschen Old School Suchen fand ich die in Frage kommenden Orte auch so. Da die Ostsee aber spiegelglatt war, war es unmöglich herauszufinden, welches Riff denn nun am nächsten Morgen funktionieren könnte.
Die Gegend hier ist an Land recht eintönig mit viel industrialisierter Landwirtschaft. Selbst die Apfelbäume sind auf eine Größe gezüchtet, dass ich mich zum Ernten fast schon bücken müsste. Zwischendrin immer wieder ganz hübsche Ortschaften mit vielen Häusern im typischen Holzbaustil. Die Küste wiederum ist deutlich spannender, im südlichen Bereich meines Zielgebiets mit flachen Felsplatten, die in die Ostsee hinaus laufen und fast schon obszön viel Potential haben, zwischendurch wieder mit ein paar sandigen Abschnitten. Nach Norden hin wird es hügeliger, mit etwas mehr Sandstränden und einigen Abschnitten mit runden Steinen. Auch hier wieder viel Potenzial, allerdings nicht mehr so gut von der Hauptstraße aus erkundbar, sondern nur über Stichstraßen, Feldwege und Pfade erreichbar.
Am Abend bekam ich die neueste Vorhersage und deren Übersetzung in die Chance auf Wellen. Leider war der Forecast nicht besser geworden. Ich sollte früh raus und als erstes ein paar Riffplatten checken, die selbst bei Miniwelle noch funktionieren sollten. Wenn der Wind dann auf Offshore gedreht hatte, sollte ich zu einem Beachbreak fahren, der aber nur bei Windstille oder Offshore brauchbare Wellen liefert.
Dienstagmorgen um 5 Uhr machte ich mir dann meinen Kaffee und fuhr nach Einnahme der für die Funktion meines Körpers erforderlichen Minimaldosis von Koffein sofort los. Da er auf dem Weg lag, checkte ich erst einmal den Beachbreak. Es regnete in Strömen und ein leichter Onshore blies. Zu meiner Erleichterung waren aber Wellen vorhanden. Also fuhr ich erst einmal weiter zu den Riffplatten, die aber nichts auch nur annähernd surfbares zu bieten hatten. Ich fuhr ich wieder zurück zum Beachbreak, schlüpfte in den Neo und machte mich auf den Weg zum Onshore Schwabbel. Nicht dass der sonderlich einladend wirkte, Dauerregen und nicht wirklich beeindruckende Wellen würden mich sonst nicht so früh aus der Koje locken. Aber ein neuer Spot und der laut Forecast rapide verschwindende Windschwabbel ließen mir keine andere Wahl.
Zumindest hatten die Sandbänke eine gute Form und ließen sogar eine nett nach rechts laufende Schulter entstehen. Strömung war gar keine – das kenne ich von den heimischen Ostseegefilden anders – und der Wind ließ weiter nach. Das Wasser wurde fast schon ölig und der Aufschlag der Regentropfen wurde sichtbar. Nach ein bisschen Eingewöhnungszeit fand ich dann einen passenden Takeoff Spot für ein paar nette Rechtswellen. Recht schnell merkte ich dann, dass mangels Frühstück der Energielevel doch sehr niedrig war. Ich ging dann erst mal raus für einen weiteren Kaffee und ein schnelles Müsli.
Ein erneuter Check offenbarte noch weniger Wind und weiterhin halbwegs regelmäßig rein laufende schulterhohe Sets. Scheiß auf Verdauung dachte ich mir und ging gleich noch mal raus. Belohnt wurde ich mit ein paar weiteren ganz hübschen Wellen. Irgendwann reichte es dann aber und ich beendete die Session. Zurück am Van traf ich auf einen Einheimischen in meinem Alter, aber mit deutlich mehr Bauch. Er erzählte mir, dass er vor kurzem in die Gegend gezogen sei und seine Töchter nun alt genug wären, um die väterlichen Pflichten und den damit mit verbundenen Zeitaufwand deutlich zugunsten von mehr Zeit am Meer zu reduzieren. Er hätte daher vor einem Jahr mit dem Surfen begonnen, und da er ja früher viel Windsurfen und Skifahren gewesen wäre, würde er das sicher schnell lernen können. Ich warf dann einen genaueren Blick auf sein Brett. Das war ein schmales Shortboard mit viel Krümmung, sicherlich deutlich zu wenig Volumen und schon für ein fixes jugendliches Leichtgewicht mit ganz viel Surf Skills völlig ungeeignet für die doch recht kraftlosen, maximal schulterhohen „Brecher“ da draußen.
Ich bot dem Herrn noch an, dass er mein Longboard benutzen könne, aber er lehnte dankend ab und wollte lieber auf seinem Kartoffelchip raus paddeln. Ich war fassungslos. Den gleichen Fehler mit der Überschätzung der Einflüsse des Windsurfens auf das Surfen hatte ich ja auch schon gemacht. Aber das war vor 25 Jahren und da stand ich noch voll im Saft, war beweglich und schnell.
Rund 20 Minuten später hörte es auf zu regnen und ich machte mich, nun bereits in normalen Klamotten, noch einmal auf den Weg für einen letzten Blick auf den Strand. Meinen Altersgenossen konnte ich nicht ausfindig machen, dafür war nun ein deutlich jüngerer Kollege draußen. Sets rollten immer noch rein, der fehlende Wind führte nun zu spiegelglatter See, über die immer noch ein paar hübsche Sets rein rollten. Dann brach zu allem Überfluss auch noch die Sonne durch die Wolkendecke und bescherte dem Jungen eine glorreiche halbe Stunde mit glasigen Wellen, bevor Huey den Schalter abdrehte. Die unverhoffte Sonne animierte mich dann noch ein bisschen in der Gegend rum zu cruisen und mir die hübschen kleinen Häfen und Riffe anzuschauen.
Das Potential der Ecke wurde bei dem zunehmenden Offshore und kleinem Restswell noch deutlicher, aber ich musste zurück. Mittwoch musste wieder die Kohle angeschafft werden, die man für solche Ausflüge braucht. Und ich werde definitiv noch mal hier vorbei schauen.
Auch wenn, wie ich inzwischen weiß, der Umweg an die Nordsee deutlich bessere Wellen gebracht hätte, hat es sich gelohnt im Baltischen zu bleiben. Neue Wellen zu „entdecken“, noch dazu an der heimischen Ostsee, und dann auch noch bei Windstille schulterhohe Wellen ganz alleine zu surfen, waren es wert.
Wie überhaupt – ich muss mal wieder ein bisschen schulmeistern mit Blick auf die aktuellen Diskussionen hier im Forum – Surfen an der Ostsee eher kein Sport ist sondern vorrangig andere Passionen befriedigt. Wenn man Surfen als Sport betreiben will, sollte man in den Sommerferien nach Frankreich und Co. fahren. Wenn man aber noch ein paar urzeitliche Entdeckungstriebe in sich hat und die Suche Teil des Ziels ist, kann sich der Aufwand lohnen. Und sei es nur, um Wellen zu finden, die es in der Ostsee eigentlich gar nicht geben dürfte.
Nun hatte ich durch des Jokers exzellentes Guiding - manchmal ist das Gesichtsbuch eben doch nicht so schlecht - natürlich einen Wettbewerbsvorteil. Vor allem die Session an der Ostsee hätte ich ohne ihn wohl nicht „gescored“. Aber ich wäre sowieso gefahren, bereit auch zu scheitern und ich bin alleine gekommen und habe nicht nach Tipps gefragt. Alleine schon um hilfsbereite Locals nicht zu verprellen und natürlich um anderen Abenteuerlustigen noch unbekannte Horizonte zu überlassen, werden hier wieder einmal keine weiteren Details zu den Surfspots genannt. Go search!
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echt, boerni, wie lange noch?
Da Johnnie on Mi, 05/27/2015 - 20:41Hänsi,
boerni on Mi, 05/27/2015 - 21:27wenn du wüsstest, wie ich mich auf mein Comeback vorbereite... Ich tue was ich kann. "Pilates" included... Wenn nur nicht die Bilder und Berichte so quälen würden...
jaa, stimmt, sowas
Da Johnnie on Fr, 05/29/2015 - 21:25megacooler bericht
Da Johnnie on Di, 05/26/2015 - 22:05merci!
tripmaster on Mi, 05/27/2015 - 10:55;=) ;=)
Klasse
boerni on So, 05/24/2015 - 11:00Blog mit tollen Bildern Tom! Verschönerte mir grad den Tag, verkürzte ein bisschen meine surflose Zeit und motiviert schnellstmöglich wieder im Wasser zu sein, sowie mir in Zukunft noch mehr Zeit dafür zu nehmen.
Daaaanke!!!!
geeerne!
tripmaster on Mo, 05/25/2015 - 12:58wie lange dauert die surflose zeit denn noch bei dir?
der tripmaster
thilo on Do, 05/21/2015 - 20:07Macht Lust auf...
coldwaves on Do, 05/21/2015 - 19:13...mehr. Danke Tom (daumenhochemoji)