Neue Horizonte, Teil 1

Samstagabend machte ich mich dann auf den Weg. Ich muss zugeben, ich war tatsächlich etwas nervös. Es ist lange her, dass ich mich auf den Weg in dermaßen unbekannte Gefilde gemacht habe.Die Zielregion hatte ich ja jahrelang rechts liegen lassen, weil ich davon ausging, dass man hier zwar hin und wieder ganz nett Windsurfen gehen konnte, im Zusammenhang mit surfbaren Wellen kam mir dieses Gewässer mangels Größe aber nicht in den Sinn. Eine erste Erkundungstour in meinen Frühzeiten des Surfens in nordischen Randmeeren im August 2002 hatte hier auch für gewisse Vorurteile gesorgt, die ich erst vor rund 3 Jahren ernsthaft zu hinterfragen begann.

Damals tauchten die ersten Bilder von einer Linkswelle im Netz auf, die ich niemals der Region zugeordnet hätte, in der sie aufgenommen worden waren. Ich blieb trotz dieser Bilder lange skeptisch und dachte, dass es sehr seltener und ganz spezieller Wetterkonstellationen bedurfte, um diese Welle zum Laufen zu bringen. Ich behielt trotzdem ein Auge auf der Region und bekam mehr und mehr das Gefühl, dass dort doch öfters was ging.

Die Gegend wanderte dann auf meiner ToDo-Liste weit nach oben und im Spätherbst 2013 war es dann soweit. Der Van war gepackt, ein paar Tage waren von Terminen frei geräumt und ich hatte mich schon von meiner Familie verabschiedet. Zur Sicherheit warf ich vor der Abfahrt aber noch einmal einen letzten Blick auf die Windvorhersagen und hatte auf einmal die Hosen voll. Die Eindrücke meines letzten Trips während eines vergleichbaren Orkans (siehe diesen Blog) waren noch sehr frisch und in meiner Zielregion sollte es noch heftiger abgehen, als die paar Wochen davor in Schleswig Holstein.

Ich bekam Zweifel, ob ich es überhaupt über die erste etwas exponiertere Brücke schaffen würde, bezweifelte dass ich im Zielgebiet überhaupt einen ausreichend windgeschützten Platz zum Übernachten finden würde und sah im Geiste bereits Bäume die Anfahrt zum Spot versperren. Ich entschloss mich, nicht loszufahren. Bezüglich des Desasters, dem ich entgangen bin, war das im Nachhinein die richtige Entscheidung. Bezüglich der Wellen, die ich dadurch verpasst habe, beiße ich mir heute noch in den Allerwertesten.

Orkan Desaster 2013 - Foto Mark Wengler / Rip ´n Snap

Aber nun war es so weit. Der nächste Versuch stand an. Der – hoffentlich passende – Forecast stand schon seit knapp einer Woche fast unverändert. Trotzdem war völlig ungewiss, ob ich was Brauchbares abgreifen würde. Die prognostizierten Windstärken waren im mittleren, nach meiner Einschätzung gerade so brauchbaren Bereich und ein kleiner Winddreher oder eine weitere Korrektur der Windvorhersage nach unten konnte die erhofften Wellen zunichtemachen. Aber es war bereits Mai, entsprechend warm und mit bereits ziemlich langen Tagen und ich packte zur Sicherheit noch mein Fahrrad ein und ab einem gewissen Punkt muss man es dann halt auch einfach mal probieren.

Über mindestens sieben Brücken musste ich dann gehen und dazu zwei Mal den Fährmann bezahlen, bis ich mein Zielgebiet erreichte. Den Weg bis dahin hatte ich problemlos gefunden, ich musste überwiegend einfach nur immer geradeaus fahren. Doch nun wurde es kleinteilig und ich beschloss nun doch den Ortungsdienst in meinem schlauen Telefon anzuschalten und mich von dem Gerät leiten zu lassen. Doch dafür hätte ich eine Internetverbindung gebraucht und die magentafarbene Telefongesellschaft, bei der ich zwecks Vermeidung von exorbitanten Roaming Gebühren immer meinen Travel & Surf (ha!) Pass buche, hatte mal wieder ein technisches Problem mit ihrer Webseite. Also musste ich Old School mäßig navigieren, mit einer Landkarte in sehr kleinem Maßstab. Nachts. Ich folgte dann erst einmal den Wegweisern zu einer recht großen Stadt und kam so auf die Autobahn, von der ich dann schnell wieder abbog und der Beschilderung zu einem Ort mit unglaublich vielen der gewöhnungsbedürftigen lokalen Konsonanten folgte.

Letztlich fand ich dann mein Ziel, eine kleine Ortschaft mit Hafen und einer relativ bekannten Rechtswelle. Übernachtet habe ich am Parkplatz direkt im Hafen – ich kam so spät an, dass ich keine Probleme mit dem Bus über Nacht parken hier befürchtete – und zu meiner großen Beruhigung blies bereits ein ordentliches Lüftchen. Nach einer kurzen Nacht schaffte ich es bereits morgens um Sieben aus den Federn, öffnete die Schiebetüre und konnte direkt checken, was der immer noch stark blasende Wind hier so rein schob. Das sah dann trotz kräftigem Onshore ziemlich brauchbar aus, die steinige Küstenlinie rang dem Windswell eine erstaunlich lang laufende Rechtswelle mit netter Höhe ab.

Etwas irritiert war ich über den Betrieb im Lineup. Trotz der frühen Stunde waren dort bereits deutlich über 20 Surfer im Wasser und es kamen ständig mehr an. Man merkte doch deutlich, dass in der Region ein paar dicht besiedelte Städte lagen und dass Surfen hier nicht wirklich ein Exoten Sport ist.

Die Rechtswelle hier ist auch ziemlich einfach zu surfen, den Lineup erreicht man sehr bequem ohne endlose Paddelschlachten und Kämpfe mit der Strömung. Mir war das zu voll und ich wollte sowieso vorrangig mal die Linke begutachten. Also machte ich mich nach einem schnellen Frühstück weiter auf den Weg.

Auch die Linke ist in der Gegend kein Geheimspot mehr und ich rechnete mit einem ähnlich hohen Crowd Faktor wie an der Rechten. Vor Ost wurde ich dann positiv überrascht. Wobei das positive erst einmal negativ aussah, denn es gab einen Grund, warum hier im Lineup nur 3 Leute unterwegs waren. Die Linke lief nicht richtig, zumindest nicht mit brauchbarer Konstanz. Sehr selten blitzte ihr Potenzial einmal auf, viel zu selten für ein klassisches Pointbreak Setup mit extrem kleiner Takeoff Zone. Das hatten sich wohl auch die meisten Locals bei ihrem ersten Check früh am Morgen gedacht und waren gleich weiter zur Rechten gefahren.

Aber die Wundertüte, die die baltischen Gewässer generell und hier ganz besonders darstellen, meinte es gut mit mir. Knapp eine halbe Stunde nach meiner Ankunft begannen die Sets häufiger in der notwendigen Größe rein zu laufen und für gut 4 Stunden lief der Spot sehr brauchbar. Der Lineup füllte sich dementsprechend etwas mehr, aber es blieb alles in einem brauchbaren Rahmen, wenn man einmal von dem Typen mit dem SUP absieht, der eine Zeitlang ein zusätzliches und völlig überflüssiges Gefahrenelement ins Spiel brachte. Großvolumiges Brett, schnelle und sehr nah am steinigen Ufer brechende Wellen, Surfer mit kurzen Brettern in einer Takeoff Zone, die naturgemäß zwischen dem Tanker und den fiesen Uferfelsen liegt, alles klar? Manche Gondoliere scheinen einfach nicht zu begreifen, ab wann sie eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellen und sich besser einen anderen Platz suchen sollten……

Apropos Allgemeinheit: Die lokalen Wikinger sind teilweise sehr empfindlich, was Invasoren in „Ihren“ Wellen betrifft. Falls ihr also hier einmarschieren solltet, haltet euch an die üblichen Umgangsformen und speziellen Regeln für Pointbreaks:

Nicht mehr als 2 Leute gleichzeitig rauspaddeln, wenn der Lineup bereits belegt ist. Notfalls müsst ihr euch abwechseln.

Nicht gleich ganz nach vorne paddeln und Setwellen abgreifen. Bitte erst einmal höflich hinten anstellen, bis ihr an der Reihe seid.

Freundlich grüßen!

Das gute hier ist: die beiden genannten Wellen sind zwar allgemein bekannt, aber das Potenzial der Gegend ist riesig und wenn man bereit ist, ein bisschen rumzufahren und rumzulaufen findet man doch die ein oder andere nicht gar so überlaufene Welle.

Zum späten Abend hin war dann aber auch bei bestem Willen nichts wirklich brauchbares mehr zu finden und mein durch ganztägigen Nahrungsentzug verärgerter Magen begann sein recht einzufordern. Ich fand eine brauchbare Pizzeria, verschlang so ein Wagenrad und ein Bier und war sehr reif für meinen Schlafsack.

Zum Teil 2 der Geschichte geht es hier.

Die Vorgeschichte ist hier erläutert.

Und ein paar mehr Bilder gibt es hier zu sehen.

Bild von coldwaves

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coldwaves on Mo, 06/15/2015 - 10:30

...wie gesagt, alles Richtig gemacht Tom.