Onshore Gebratze, 2004

Früher, als das Internet noch recht neu war und als es kein Magic Seaweed / Windfinder / Windguru und auch kein Facebook (ja, tatsächlich!) gab und als noch keine SUPs und Kitesurfer mit im Lineup unterwegs waren, ja, also früher sind wir losgefahren, wenn es Wind aus West gab (wir hatten so was von keine Ahnung).

Commandanta Niggi mit der "Hände hoch,sonst schieß ich " "Pose", die die Kitesurfer wirksam auf Distand hielt.

Nun, für letztes Wochenende war lokales Onshore Geballer aus West angesagt und ich hatte Zeit und keine Lust in Hamburg zu bleiben. So machte ich mich dann nach Abflauen des Feierabend Staus auf den Weg in den Norden Dänemarks. Dank der Autobahn (die gab´s früher auch nicht) kam ich relativ flott bis kurz vor Holstebro, wo ich auf der Autobahnraststätte relativ ruhig und ohne Strafzettelrisiko (das war früher auch so gut wie nicht existent) übernachtete. Ich hatte keine Eile, denn der Wind und damit die Wellen sollten sich erst im Laufe des Samstags entwickeln.

Check, check, overcheck. Da wäre ich wohl besser gleich rein gegangen.

So kam ich denn gegen 11 Uhr in Noerre an. Ein mittelprächtiger Südwestwind stand an und ein paar Windwellen rollten um die lange Mole. Im Untergrund war ein netter Peak von 4 Surfern besetzt, nördlich der Stummelmole waren auch ein paar Kollegen im Wasser and im Schatten der langen Mole zeichneten sich nette Linkswellen ab. Die relativ stabile Sandkante hier ist der einzig positive Effekt der ansonsten hirnrissigen Idee, den Sandfluß an der langen Mole mit einem Schwimmbecken zu kappen, in dem nie jemand planscht und das regelmäßig ausgebaggert werden muss, weil bei Nordweststurm die Nordsee völlig überraschend das Becken mit Sand auffüllt.

Ein halber Meter mehr......

Nun, die Kante liefert regelmäßig nette Longboard Wellen, aber momentan fehlte noch ein halber Meter um dort Spaß zu haben. Der, äh, „Peak“ neben der Stummelmole machte mich nicht an und so wäre wohl der Untergrund die beste Wahl gewesen. Aber ich hatte Hoffnung, dass ein nördlicher Puls sich in den Teich legen würde und beschloss daher, an die Fischfabrik zu fahren.

Softe Longboardwelle versus Halsentzündung. 2016.

Wie erwarte blies der Wind hier sideoffshore und es kam tatsächlich ein nördlicher orientierter Windschwell hier an. Also rein da! Ich stieg aus und mir wurde fast schlagartig schlecht. Klar, Südwest und die Müllverwertung voll ausgelastet, hätte ich mir eigentlich denken können. Ein beißender ekelhafter Geruch wehte herum und setzte sich sofort in den Klamotten fest. Seitdem ich vor jahren eine Session hier mit einer 4-wöchigen Halsentzündung bezahlt habe, gehe ich hier eigentlich nur noch stehsegeln, denn dabei kriegt man weniger Wasser in Hals und Nase.

Halsentzündung, 2004

Also fuhr ich weiter zu den Feuersteinriffen. Da stank es dann kaum noch, allerdings kamen auch so gut wie keine Wellen rein. Kaffee machen, überlegen, warten, dass der Wind mehr auf West dreht und mehr Swell rein kommt. Passierte nicht. Daher fuhr ich dann wieder zurück an die fFschfabrik. Stehsegeln an Middles war die Option, aber der Wind reichte nicht wirklich. Was tun? Warten, bis der Wind dreht und zunimmt? Es war bereits 17 Uhr und es wurde langsam Zeit, dass ich auf´s Wasser komme. Also zurück nach Noerre.

Linke Kante besetzt. Nicht 2004.

Da war inzwischen deutlich mehr los wellenmäßig und die Kante produzierte nette Longboardwellen. Allerdings wurden die von den Surfern mit den Drachen zerschlitzt und zwar in atemberaubender Frequenz und Geschwindigkeit. Scheiß Evolution. Kite plus Surfbrett scheint die beste Waffe für drucklose Wellen in Verbindung mit mittelstarkem Wind zu sein. Apropos Waffe: Dort im Lineup würden mir die Kitesurfer um die Ohren rauschen. Ein falsch getimter Turn, ein fliegendes Brett und ich hätte gute Chancen zukünftig als Scarface durch die Gegen zu laufen.

Evolution. 2016.

Also ließ ich das Longboard im Van und nahm stattdessen den Fish, mit dem ich dann an der Stummelmole rauspaddelte. Mein Neu stank, obwohl nur im Bus rumgehangen, bestialisch nach der Abfallverwertung an der Fischfabrik. An der Spitze der Stummelmole musste ich mich dann durch einen Mahlstrom an Kreuzsee kämpfen um raus zu kommen. Im Lineup merkte ich dann, dass dies gar nicht der Lineup war weil hier nix brach und mich eine Strömung noch weiter nach draußen trieb.

Linke Kante zurückerobert durch Spezialeinheit Niggi. Hier patroliert Sgt. Ilka.

Also paddelte ich wieder Richtung Ufer auf der Suche nach einem Lineup, der meistens nicht da war. Das Geschwabbel und der penetrant im Neo hängende Gestank von der Fischfabrik ließen dann schnell eine gewisse Übelkeit aufkommen. Die grauslig brechenden Wellen machten es nicht besser. Das wurde mir dann bald zu blöd und ich nahm einen Schwabbel Richtung Ufer.

Von da aus sah ich, dass eine Damentruppe die Sandkante an der langen Mole übernommen hatte und die Kitesurfer auf Distanz hielt. Mein dünner Fish war aber eher nicht geeignet für die Wellen dort und außerdem war mir schon schlecht, also gab ich auf und pellte mich schnellstmöglich aus dem stinkenden Neo.

Sonntagmorgen dann Sonne und knackiger West-Nordwest. Erst Anlaufstelle: die Fischfabrik. Erst Erkenntnis: Windsurfen ist nicht tot.

Windsurfen lebt! 2016.

Nächster Check: die Feuersteinriffe. Nächste (nicht neue) Erkenntnis: Surfer mit Kite als Schlepplift liefern auch in diesen Bedingungen mit side-onshore Wind und großen aber nicht sonderlich druckvollen Wellen die beste Wellenreit Performance.

Beste Wahl. 2016.

Ich zog dann weiter und ging erst einmal auf dem Fjord Stehsegeln im spiegelglatten Wasser. Danach langer Marsch zum nächsten Wellencheck. Lief nicht, zumindest an der alten Mole, zu der wir früher bei Nordwest gepilgert sind. Allerdings hingen in der Gegend ein paar Schweden und Dänen mit kurzen und dünnen Brettern rum. Irgendwo scheint einer dieser „Bin ich ein Cloesout oder doch die schnellste Welle Dänemarks“ Peak gelaufen zu sein. Hab dann aber nicht weiter nach diesem Secret gesucht, sondern die Fähre genommen.

Langer Marsch, 2004

Nächster Check die Todeswelle im Kanal (Tim´s viel diskutierten Bericht zu dieser Welle findest du hier) . Sah von der anderen Seite schon imposant aus. Aus der Nähe dann genauso. Mächtige Linke brachen in der Zone mit der Mörderströmung. Keiner draußen. Vielleicht besser so. Weiter ging´s gen Süden. Der Wind sollte am frühen Abend nachlassen. Möglicherweise was für die Super Bank. Die schaffte es dann tatsächlich, der immer noch aufgewühlten Nordsee sowas wie Form abzuringen. Aber zu viel Onshore und Weißwasser. Also weiter Richtung Heimat.

Todeswelle im Kanal, 2016

Wie früher schon letzte Hoffnung auf die südliche Mole.

Südliche Mole, 2004

Dort angekommen erklomm ich die Düne für einen Check ohne viel Hoffnung. Dann die Überraschung: sie wird noch nicht etwa? Wie früher?? Auf jeden Fall war ich ganz schnell zurück am Van, schlüpfte in den nassen Neo, griff mir das Longboard und eilte zum Strand. Doch nach 10 Minuten drehte der Wind zurück auf Südwest, vielleicht passte auch die Tide nicht mehr, auf jeden Fall war die Pracht an der Sandbank etwas weiter links auf einen Schlag vorbei. Ich rutschte dann noch auf ein paar Schwabbelwellen rum und machte mich recht schnell auf die Fahrt zurück nach Hamburg.

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Südmole Hoax, 2016

Das Dänemark Wochenende im klassischen Anfangszweitausender Stil war vorbei. Fazit: viele Möglichkeiten, sich falsch zu entscheiden und ohne Windsurfen eher ein Reinfall. Zumindest was meine aktuellen Ansprüche an Surfen in dänischen Nordsee Gewässern betrifft. Auf der anderen Seite, viel draußen gewesen, ordentlich belüftet worden, nass geworden, rote Nase von der Sonne gekriegt, allemal besser als in der Stadt rum zu hängen.

Bild von maik

Schöner Bericht

maik on Fr, 06/24/2016 - 22:58
Sehr fein zu lesen, Tom. Das alles erinnert mich an die alte Zeit im alten Jahrtausend, als alles noch dem Zufall überlassen war und man im kalten Winter noch mit einem schlecht sitzenden 4/3 und teils ohne Handschuhe und Haube rauspaddeln musste. Ich hatte die Isobarenkarten studiert und bin bei genug Wind immer in den Norden gefahren. Meistens war es genauso, wie es Dir gerade ergangen ist. Absolut kein Vergleich zur heutigen Zeit, jetzt bekommt man den forecast, alle spots und die brutal warmen Neo´s in den Hintern geschoben. Wenn Du mich fragst, das hätte ich damals auch gerne genau so gehabt. Auch eine Standheizung für den Bulli wäre damals gut gewesen. Ich erinnere mich an den Februar 2003, als ich morgens auf dem Parkplatz in Nörre wach wurde, -12°C, alle Scheiben von innen zugefroren und ein nasser Neo in der Kiste. Dafür gabs offshore links der langen Mole (Chupa lief!) mit 6ft und ich war der einzige Surfer im lineup. Draußen lag neuer Schnee und ich hatte meinen unbequemen 4/3 an, und 3mm Booties an den Füßen. Damals, finde ich, war man trotzdem gestoked. Auch wenn man halb tot aus dem Meer zurück kam und im Bulli nur Kälte auf einen gewartet hatte und der wackelige Gaskocher die einzige Wärmequelle war. Wenn ich so darüber nachdenke, wie voll es heutzutage an jedem spot ist, alle Infos online zu finden sind und dass man nirgends mehr offiziell wild übernachten darf bin ich trotzdem sehr froh darüber, das alles erlebt zu haben. Danke für den Bericht alter Mann!!! ;-)
Bild von tripmaster

gerne Maik!

tripmaster on Mo, 06/27/2016 - 14:17

man kann die Zeit nicht zurück drehen und das ist wohl auch gut so. Bin froh, dass ich die "Pionierjahre" mit erleben durfte!
Trotzdem würde ich gerne mit Neos von heute und dem, was ich jetzt über die Wellen an der Nordsee weiß einmal 10 Jahre zurück reisen in die Pionierzeiten.