Morgens um sechs flüchtete ich aus dem Wandschrank voller schnarchender Männer, der sich Kabine nannte. Kaffee bekam ich noch keinen, da alles noch geschlossen war. Draußen auf See war der Himmel grau und es nieselte aber es war wärmer als erwartet. Um Sieben konnte ich dann meinem Körper den dringend notwendigen morgendlichen Energieschub mit Kaffee in einer der Schiffskantinen geben. Da wir in Kürze in den Fjord einlaufen sollten war ich dann schnell zurück auf Deck. Der Regen hatte inzwischen aufgehört und die Wolkendecke ließ erste Sonnenstrahlen durchschimmern.

Bald tauchten auch die ersten Berge der Ostfjorde im Nebel auf und das Schiff fuhr in den schmalen und ziemlich langen Seydisfjordur ein. Auf beiden Seiten des der spiegelglatten Gewässer des Fjords ragten nun hohe Berge mit noch schneebedeckten Gipfeln auf. Ich hätte diese Einfahrt wohl als spektakulär empfunden, wenn nicht die Passage durch die Färöer-Inseln gestern Abend die Sensationslatte so verdammt hoch gelegt hätte. So empfand ich die gute halbe Stunde, die wir noch durch den Fjord schipperten als ganz nett und war froh, als wir endlich den Hafen erreichten und ich das Schiff verlassen konnte.

Ich hatte mich nicht sonderlich intensiv auf die Reise vorbereitet. Der Plan war, die Insel gegen den Uhrzeigersinn im Wesentlichen entlang der Ringstraße zu umrunden und die Dinge auf mich zukommen zu lassen. Informationen oder auch nur Hinweise auf surfbare Wellen gab es sowieso so gut wie keine im weltweiten Netz und da die Ringstraße immer in Küstennähe verlief, musste ich ja nur kleine Abstecher machen, um die Wellen zu checken.

Auf der Karte sahen die Ostforde schon mal richtig spannend aus mit tief eingeschnittenen Fjorden zwischen hohen Bergen und einem Mix an felsiger Küste und hin und wieder Sandstränden. Bei der Einfahrt in den Fjord hatte ich zwar nicht die geringste Falte auf dem Meer entdecken können, aber laut Vorhersage sollte in den nächsten Tagen ein kleiner Swell aus südlicher und später südöstlicher Richtung laufen.

Den Flatnesstag wollte ich nutzen, um den Fjord genauer zu erkunden. Am spannendsten war dabei natürlich der exponierte Eingang in den Fjord.  Laut Karte sollte am nördlichen Fjordufer so etwas wie eine Piste bis zu einem Leuchtturm am Kap beim Übergang der offenen See in den Fjord führen. Da wollte ich nun hin und zwar – es war warm und hin und wieder sogar sonnig – mit dem Fahrrad.

Die Tour endete dann - ohne dass ich den Leuchtturm erreichte - mit plattem Reifen sowie einer deftigen Unterkühlung wegen wolkenbruchartigem Regen und zwischenzeitlichen Halluzinationen und einer wichtigen Erkenntnis: die Ostfjorde mögen ein riesiges Wellen-Potenzial haben, aber die interessanten Bereiche der Küste sind schwierig bis gar nicht erreichbar. Mit einem nicht geländegängigen Van mal eben für einen Spotcheck an die exponierteren Küstenbereiche zu fahren ist so gut wie unmöglich. Und in den tief eingeschnittenen Fjorden läuft wohl erst eine Welle, wenn draußen richtig dicker Swell aus der richtigen Richtung unterwegs ist.

Diese Erkenntnis warf meine ursprünglichen Pläne etwas über den Haufen, war aber natürlich noch lange kein Grund aufzugeben. Ich beschloss meine Erkundungen von den Ostfjorden weg in Küstenbereiche mit nicht derart tiefen Einschnitten zu verlegen. Für die Grönlandsee war allerdings für die komplette kommende Woche absolute flatness vorhergesagt. Circa 400 Kilometer südlich der Ostfjorde liegt am Rande des Vatnajökull Gletschers mit den Schmelzwasserseen und den Eisbergen darauf direkt an der Küste eines DER landschaftlichen Highlights von Island. Ich beschloss den Besuch dieser Lagunen nicht erst am Ende der Reise zu machen, sondern schon mal jetzt vorbeizuschauen. Das Wetter war mit recht viel Sonne und relativ milden Temperaturen günstig, außerdem sollte ein kleiner Swell aus südlicher Richtung ankommen.

So machte ich mich dann am nächsten Tag auf den Weg über den Gebirgspass am oberen Ende des Fjords und – nach einem längeren Boxenstopp in Egilstadir – auf den nach Süden führenden Teil der Ringstraße. Anfangs führte die Straße noch durch ein wunderschönes Hochtal in dem ich gerne einmal angehalten hätte um mir die Landschaft in Ruhe anzuschauen. Auf dem Kontinent hätte ich dazu sicherlich mehrere Parkplätze oder abgehende Feldwege zur Auswahl gehabt, doch hier war die Ringstraße sehr minimalistisch angelegt. Sie ist gerade so breit, dass zwei entgegenkommende Fahrzeuge problemlos aneinander vorbeikommen, aber mit der Asphaltkante beginnt sofort die steile Böschung des Straßendamms. Dieses Konstruktionsprinzip sollte sich später als der Standard auf der Insel herausstellen und ist im Grunde nicht weiter verwunderlich, wenn man die Größe der Insel in Relation zur Einwohnerzahl von lediglich um die 300.000 Menschen setzt. Die Ringstraße alleine ist rund 1.300 Kilometer lang und verbindet Ortschaften die bei mehr als 200 Einwohnern als groß zu betrachten sind. Bei der sowieso schon auf Grund der dünnen Besiedelung problematischen Kosten – Nutzen Relation ist es nicht weiter verwunderlich, dass in der Regel nur das absolut nötigste gebaut wird, um einen Fahrzeugverkehr zu ermöglichen.

Für den normalen Touristen als auch den Wellen suchenden Reisenden wirft dieser Minimalismus aber Probleme auf. An landschaftlichen Highlights, die bei uns mindestens einen Parkplatz mit Hinweistafeln als Infrastruktur zur Folge hätten, fährt man in Island hilflos vorbei. Allerdings ist auch der Begriff „landschaftliches Highlight“ hier in anderer Relation zu betrachten. So fuhr ich anfangs regelmäßig an Wasserfällen vorbei, denen ich zuhause eine halbe Speicherkarte voller Fotos gewidmet hätte und hielt mit zunehmender Verzweiflung aber immer vergeblich nach Parkmöglichkeiten Ausschau. Irgendwann stellte ich dann aber fest, dass diese Wasserfälle für isländische Standards Nullachtfünfzehn waren und ich meine Skala für die Bewertung „spektakuläre Landschaft“ völlig neu justieren musste.

An den „richtigen“ Naturwundern entlang der Ringstraße gab es dann auch immer einen Parkplatz mit einem Hinweisschild so dass das spezifisch isländische Naturerlebnis durch die minimalistische Infrastruktur nicht wesentlich beeinträchtigt wurde. Man sollte dabei aber tatsächlich möglichst wenige dieser Parkplätze auslassen, denn fast jeder Stopp lohnte sich. Anders sieht die Situation aus, wenn man in das Landesinnere will und kein geländegängiges Fahrzeug hat. Aber dazu mehr in einer späteren Folge des Reiseberichts. Aktuell war ja das Hauptziel noch gute Wellen entlang der der Küste folgenden Ringstraße zu finden. Und hier stellten sich die fehlenden Parkmöglichkeiten dann bald doch als gravierendes Problem heraus.

Das Hochtal führte dann hinunter zu einem weiteren tief in die Berglandschaft einschneidenden Fjord. Von hier aus hat man die seltene Möglichkeit, einen Tunnel zu nutzen und die Fahrstrecke nach Süden deutlich abzukürzen. Ich nutzte den Tunnel nicht und folgte stattdessen der Schotterstraße entlang des Fjords, die den Bergrücken mit einem ca. 40 Kilometer langen Umweg umrundete aber dabei immer der Küste folgte. Diese Berge-treffen-auf-Meer Landschaft war wunderschön, die Küste selbst war abwechslungsreich mit einem Wechsel aus Steilküste, kleineren Buchten und felsigen Kaps und hatte generell ein großes Potenzial für surfbare Wellen. Leider war das Meer nicht nur innerhalb des Fjords, sondern auch am exponierten östlichen Kap weitestgehend faltenfrei.

Zurück auf der Ringstraße und weiter Richtung Süden setzte sich dieses Muster fort: trotz bald einsetzenden Regens  unfassbar schöne Berglandschaft entlang weiterer Fjorde, Schwemmlandebenen und exponierten Küstenabschnitten und hin und wieder eine kleine Ortschaft. Gute vier Stunden war ich unterwegs bis es dunkel wurde und keine Sekunde dieser dann doch anstrengenden Fahrt war langweilig. Mein Tagesziel, Höfn, erreichte ich dann nach Mitternacht und war froh, dass ich trotzdem noch auf dem Campingplatz einchecken konnte.

Am nächsten Morgen – es war ein wunderbarer sonniger Tag – stellte ich dann fest, dass von Höfn aus kein Weg zu den verlockenden, endlos langen Sandstränden der Gegend führte. Höfn liegt auf einer Halbinsel in einer Lagune mitten in der Schwammlandfläche und die schwarzen Sanddünen entlang der offenen Küste sind zwar nicht weit weg, aber nur über den Wasserweg zu erreichen. Auch das stellte sich bald als typisches Muster für die Gegend heraus: endlose Sandstrände wenige hundert Meter von der Straße entfernt aber nur mit geländegängigen, besser noch amphibischen Fahrzeugen erreichbar und das auch nur solange neben der Straße nicht noch das abgezäunte Grundstück eines Bauern liegt.

Doch so schnell gab ich natürlich nicht auf und verbrachte ein paar Tage mit der Erkundung des in Luftlinie rund 100 Kilometer langen (Fahrstrecke locker doppelt so viel) südöstlich ausgerichteten Küstenabschnitts um Höfn herum. Ein kleiner Swell anfangs aus südlicher und später etwas mehr östlicher Richtung half dabei das Wellen-Potenzial der Gegend besser einschätzen zu können. Ein Großteil der zugänglichen Abschnitte der Sandstrände entpuppte sich dabei als heftige Shorebreak-Mühle aber einige wenige Strände sahen sehr brauchbar aus. Tatsächlich waren hin und wieder Wellen dabei, in die ich überall woanders ohne Zögern raus gepaddelt wäre.

Doch ähnlich wie bei der Bewertung der Landschaftshighlights musste ich bald erkennen, dass ich meine bisherigen Vorstellungen von belebter Natur insbesondere auf dem Meer ebenfalls neu justieren musste. Dachte ich bisher, dass ich auf Grund jahrelanger Erfahrungen im Atlantik und den Randmeeren an den Aufenthalt in belebten Gewässern gewohnt wäre musste ich nun feststellen, dass mich die isländische Fauna doch etwas einschüchterte. Einer der potenziellen Lineups war regelmäßig besetzt von mehreren Hundertschaften von Seevögeln, in einem anderen wiederum jagten Seehunde mit Höchstgeschwindigkeit zwischen vereinzelten Schreibtisch-großen Eisbergen.

Da alleine raus zu paddeln war eine Herausforderung die ich noch scheute, insbesondere auch weil die Wellen zwar surfbar aber bei weitem nicht episch waren. Aber wenigstens konnte ich erste Kreuze auf der Landkarte machen und hatte ein Gefühl dafür bekommen, wann ich hier wo surfen könnte. Außerdem waren die landschaftlichen Highlights, die ich zu Fuß oder per Fahrrad erkundete derart gewaltig, dass mir erst einmal nichts fehlte.

Als der Wind dann aber auf Ost drehte und schlechteres Wetter brachte rutschte die Suche nach surfbaren Wellen trotzdem wieder ganz oben auf die Prioritätenliste. So machte ich mich wieder auf den Weg Richtung Norden, wo ich hoffte Küstenbereiche zu finden die Wellen hatten ohne vom Onshore verblasen zu werden. Dabei machte ich den ein und anderen Abstecher von der durch die Hinfahrt bekannten Küstenstraße, fand aber nur entweder Windswell mit zu viel Wind drauf oder wellenloses Gewässer. Die Fjorde boten zwar Küstenbereiche, an denen der Ostwind nicht störte, der Windswell war aber viel zu klein, um es in diese geschützten Gegenden zu schaffen.

So sparte ich mir dann am Beginn der Ostfjorde auch den Umweg entlang der Halbinsel und nahm den Tunnel. Das Teilstück der Ringstraße abseits der Küste passierte ich dann auf dem schnellsten Weg und bog nördlich von Egilstadir wieder auf eine Schotterstraße ab. Diese führte für eine längere Zeit entlang eines wild mäandernden Flusslaufes in ein großes Schwemmland mit einem langen Sandstrand. Dort hoffte ich bei nachlassendem Wind noch auf ein paar nachlaufende Wellen zu treffen. Laut Karte sollte die Schotterpiste am nördlichen Rand des Schwemmlandes bis an die Küste heranführen.

Nach einer längeren recht holprigen Fahrt erreichte ich dann die Stelle, an der die Piste vor der Küste das Tal verließ und sich den Berg der Halbinsel hinaufschraubte. Zu meiner großen Freue fand sich hier auch ein kleiner Parkplatz. Ich hielt an und kletterte einen Sandhaufen hinauf in Erwartung mit einem Blick auf das Meer und hoffentlich netten Wellen belohnt zu werden. Oben bot sich mir dann ein Ausblick auf mindestens einen weiteren Kilometer Schwemmland der von meinem Standort zu allem Überfluss auch noch durch einen Ausläufer des Flusses getrennt war. Die Küstenlinie konnte ich weiterhin nur erahnen.

Da ich nun verstanden hatte, dass ich für den Wellencheck ein watfähiges Offroad-Fahrzeug hätte mitbringen müssen, nahm ich den Anstieg über den Berg in den nächsten Fjord in Angriff. Ich folgte nun wieder meinem Ursprungsplan die Insel gegen den Uhrzeigersinn zu umrunden und nun standen die nordöstlichen Küsten und Fjorde auf dem Programm. Die Schotterpiste hinauf zum Pass war in recht gutem Zustand aber so steil, dass ich die gesamte Strecke im zweiten Gang zurücklegen musste. Belohnt wurde ich mit grandiosem Ausblick über das Schwemmland und endlich auch auf den Strand hinter mir und oben auf dem Bergrücken der Halbinsel mit psychedelischen Farben irgendeiner neongrün leuchtenden Flechte auf den ansonsten nackten Felsen.

Von der Passhöhe aus ging es dann mit 15% Gefälle die kurvige Schotterpiste wieder hinunter und ich war ziemlich froh, dass ich vor der abreise zuhause noch eine große Inspektion gemacht hatte, bei der die Bremsen meines Lastwagens komplett überprüft und neue Bremsbeläge eingebaut worden waren. Trotzdem musste der Motor kräftig mitbremsen und so ging es wieder nur im zweiten Gang voran hinab in ein tiefes Tal und von dort entlang der Steilküste an den nächsten Fjord.

An der südlichen Flanke des Fjords hielt ich dann an um mir einen (nach isländischen Standards ganz netten) Wasserfall anzuschauen. Ich stand dann etwas unterhalb der Straße und bewunderte das fallende Wasser als ich von einem Geräusch über mir aufgeschreckt wurde. Nachdem ich die letzten 2 Stunden auf der Schotterpiste genau drei anderen Menschen begegnet war, hatte offensichtlich gleich nach mir ebenfalls jemand am Rande der Straße sein Auto gestoppt und flog nun mit einer Drohne über dem Wasserfall herum.

Ich machte mich dann wieder auf den Weg. Kurz bevor die Straße von der Steilküste herabführte an das sandige Ende des Fjords erblickte ich noch einen sehr großen Delfin / kleineren Wal genau dort, wo der Lineup dieses Sandstrandes wäre, falls es Wellen gehabt hätte. Nun war ich ganz froh, dass es flat war. Unten führte die Straße ausnahmsweise tatsächliche ganz nahe an den Strand heran und auf einer Schautafel sah ich dann auch, dass er hier Wellen haben kann. Das vergilbte Foto war mitten im Winter aufgenommen worden, die Landschaft um den Fjord herum war schneebedeckt und an der Bucht mit dem Wal im Lineup brachen hübsche, vielleicht schulterhohe Wellen bei Windstille oder Offshore. Minus dem Schnee war das genau das, was ich mir erhofft hatte und das Foto bestätigte, dass ich mit meiner Route hier nicht ganz falsch lag.

Aber nun – es war zwar noch hell aber bereits nach Mitternacht – war es Zeit sich hinzulegen. Nicht weit vom Strand entfernt lag ein kleiner Ort mit Hafen und Campingplatz, auf dem ich mich für die Nacht einquartierte.

Fortsetzung folgt demnächst.

Episode 1 des Island Blogs findest du hier.

Mehr Bilder gibt es hier zu sehen.