Tims Surfwetter

 Den „Epic Days“ auf der Spur

 
Teil 2

Unter normalen Umständen kann man einen Nordostwindtag in der Lübecker Bucht qualitativ nicht unbedingt als „Epic Day“ bezeichnen. Einer dieser Tage hatte es aber definitiv in sich, denn er sollte die Optik einiger Strandabschnitte und die einer allseits bekannten Seebrücke nachhaltig verändern. Die  Nordsurfer, die es tatsächlich bis ins Wasser schafften, hatten den wahrscheinlich größten Surf, den sie jemals in der Ostsee erleben durften. Es war der Beginn des Jahres 2010.

 (Quelle: Tom)

Mittwoch, 06. Januar 2010: Kontinentale Kaltluft hatte den Norden von Mitteleuropa fest im Griff und war kurz davor, ihre eiskalten Finger auch über die letzten verbliebenen Bastionen des Spätherbstes zu legen. Der Atlantik vor Portugal war auch zu dieser Zeit des Jahres noch wohltemperiert, und fungierte als maritime Heizplatte für die Luftschicht direkt darüber. Die Temperatur dieser Luftmasse nahm bis dahin nicht mehr als etwa 0,65 Kelvin pro hundert Meter Höhe im Mittel ab, daher war die Schichtung einigermaßen stabil und das Wetter darin blieb ruhig. Dieser Zustand sollte sich jedoch grundlegend ändern.

(Quelle: DWD)

 

Arktische Kaltluft aus dem Nordosten drang in mittleren bis hohen Luftschichten bis in diesen Bereich vor und legte sich über die maritime Warmluft. Dadurch vergrößerten sich die vertikalen Temperaturgegensätze derart, dass die einst stabile Luftmasse zunehmend labil wurde und die warme Luft anfing aufzusteigen. Sie wurde von der Kaltluft darüber förmlich angesogen, kühlte sich ihrerseits ab und fing an zu kondensieren.

Im Zuge dessen wurde bodennahe von außen immer mehr feuchtmilde Atlantikluft nachgeführt, die im immer mächtiger werdenden Konvektionsgebiet ihrerseits wieder zum Aufsteigen und Kondensieren gezwungen wurde. In diesem Gebiet sank der Luftdruck auf Meeresniveau rapide. Ein neues Tief war geboren und das Kind hatte bereits einen Namen: DAISY. 

Donnerstag, 07. Januar 2010: DAISY zog mit einer kräftigen Höhenströmung nach Osten ins Mittelmeer. Dort fand sie genau das vor, was ein junges dynamisches Tiefdrucksystem zum Heranwachsen brauchte – warmes Mittelmeerwasser. Um jedoch auch für das nördliche Mitteleuropa wetterwirksam zu werden, brauchte sie einen Partner.

 (Quelle: DWD)

Der war bereits zwischen Nordostatlantik und Skandinavien in Form einer Hochdruckbrücke vorhanden und sollte auf den Namen BOB hören. DAISY bezirzte ihn mit Höhenwarmluft, die sie vorderseitig aus dem Mittelmeerraum direkt über den bodennahen Kaltluftsee von BOB hinweg schob. Über der kalten Luft bildete sich dadurch eine kräftige Inversion. Das bedeutet, dass die Temperatur in diesem Gebiet nicht mehr mit der Höhe kontinuierlich abnahm, sondern genau umgekehrt, zunahm.

Die Warmluft kühlte in der Höhe merklich ab und begann vor allem über dem kalten Skandinavien kontinuierlich abzusinken, wodurch sich der Luftdruck nachhaltig erhöhte. BOB wurde dadurch zu einem ausgewachsenen Skandinavienhoch, das durch die äußerst stabile Atmosphärenschichtung bis an den oberen Rand der Troposphäre wie festbetoniert an Ort und Stelle verharrte. 

Samstag, 09. Januar 2010: DAISY indessen war das Rumsitzen nicht gegeben. Gekoppelt an eine kräftige Höhenströmung kam sie rasch nach Osten voran und stillte ihren unbändigen Hunger mit feuchtmilder Mittelmeerluft. Über Mallorca erreichte sie ihr Maximum mit einem Kerndruck von 990 Hektopascal, während BOBs Kerndruck durch die kräftige Absinkinversion seinerseits auf stattliche 1040 Hektopascal angeschwollen war.

 (Quelle: DWD)

Sonntag, 10. Januar 2010: Beide Druckzentren befanden sich nur noch wenige hundert Kilometer von einander entfernt. Das Maximum des durch den großen Druckunterschied erzeugten Windes war erreicht und befand sich direkt über dem südlichen Teil von Nord- und Ostsee.

 (Quelle: DWD)

Bei der vorherrschenden Windrichtung rückte die Lübecker Bucht in den Fokus des Interesses. Von dessen südwestlichen Ende an gemessen gibt es in nordöstlicher Richtung auf einer Distanz von mehr als 750 Kilometern nichts als Wasser. Grundsätzlich kann eine solche Strecke Wellenperioden von 10 Sekunden und mehr hervorbringen. In diesem Fall wehte der Wind jedoch auf der gesamten Distanz flächendeckend mit 30 – 40 Knoten, in Böen bis über 60 Knoten, und verwandelte die Ostsee in eine Waschküche.

Auswahl der Spitzenwindböen:

·         116 km/h - Kap Arkona/Rügen

·         102 km/h - Dahme/Ostsee, Hiddensee-Dornbusch

·         91 km/h - Hamburg-Veddel

·         83 km/h – Lübeck

 (Quelle: Wokingham Weather)

Es war ein ungemütlicher Tag, denn zusätzlich zu dem schneidenden Wind sorgten auch Temperaturen unter dem Gefrierpunkt und mäßiger Schneefall dafür, dass sich die Ostseeküstenregion nach und nach in eine bizarre Winterlandschaft verwandelte. Der Wind drückte das Wasser in die Lübecker Bucht und ließ es dort auf etwa 1,4 Meter über NN ansteigen. Für Ostseeverhältnisse war das eine solide Sturmflut.

Die Anreise und der Weg zum Strand sollten zu einer Geduldprobe werden. Diejenigen, die es bis ins Wasser schafften, wurden jedoch belohnt und schwärmen noch heute von einem der größten Ostseetage.

 (Quelle: Börni)

Weitere Infos über diesen Surftag und eine Umfangreiche Sammlung von beeindruckenden Bildern und Videos findet Ihr hier:  http://nordsurf-syndikat.de/specials/daisylicious 

Bild von Da Johnnie

hi tim, wie geil

Da Johnnie on So, 10/30/2011 - 22:23
hi tim, wie geil wissenschaftlich ist denn bitte mal wieder diese Analyse der Wetterbedingungen??! Krass und verdammt cool zu lesen und zu verstehen;-)) weiter so! Hoffe Du hattest dieses Woend und n paar Wellen. Ein Spot weiter südlich des gespaltenen Steines lief heute ganz gut und gestern eher mässig.
Bild von hörer

daumen hoch

hörer on Fr, 10/28/2011 - 21:15
wieder mal topanalyse, leider war solch eine wetterlage in diesem jahr fast nie vorhanden