Der Mai ist traditionsgemäß ein Surfmonat. Die langen Wochenenden schreien geradezu danach, mit Sack und Pack ans Meer zu fahren, um dort die letzten nordatlantischen Winterswells bei herrlichem Frühsommerwetter in der Nordsurfarea abzufeiern. Dieses Jahr sollten so ziemlich alle Nordsurfer auf ihre Kosten gekommen sein, denn der Wellengott meinte es gut. Auch der südliche Außenposten des Nordsurf-Syndikats hatte bereits einen kurzen Abstecher dorthin geplant, wo Wellenperioden im soliden zweistelligen Sekundenbereich angesagt waren, ABER…
Ein Getriebeschaden an dem Surfmobil, das mich über lange Jahre stets zuverlässig an die Surfspots dieser Welt gebracht hatte, machte kurzfristig alle bisherigen Pläne bezüglich Maisurf obsolet. Ja, es hätte so schön sein können, aber nicht unter diesen Umständen. Meinen ersten Vatertag verbrachte ich also weinend zuhause vor der Webcam und auch das Pfingstwochenende drohte ähnlich trist zu werden. In Selbstmitleid versinkend sah ich mich bereits die angestaubten Surfpornos wieder aus dem Keller holen, als mir plötzlich ein Vöglein etwas zwitscherte.
Dass es in NRW viele Surfer gibt, ist unbestritten. Während ich die Binnengewässer im Rheinland eher stehend auf langstreckentauglichen SUPs erkunde, begegnen mir nicht selten Leute, die auf Wellenreitboards liegend ihre Paddelfitness für den nächsten Surftrip erhalten oder wiederherstellen.
Etwas haben alle Surfer in NRW gemeinsam. Sie haben keinen Surfstrand vor der Haustür. Sie sind landlocked und sie müssen richtig weit fahren, um einigermaßen passable Wellen surfen zu können. Trotzdem ist die Surferdichte im Kölner Raum so groß wie kaum irgendwo sonst in Deutschland.
Daher verwundert es nicht, dass auf einem der unzähligen Baggerseen zwischen Köln und Düsseldorf die erste stehende Welle gebaut wurde. Ok, stehende Wellen sind eigentlich ein alter Hut. Der Eisbach in München gilt im Prinzip als Vorreiter und auch als Vorbild für alles, was danach gebaut wurde.
Wasser fließt mit hoher Geschwindigkeit über ein Hindernis, wodurch im Vorfeld eine stehende Welle erzeugt wird. Im Grunde unterscheidet sich auch diese Anlage nicht wesentlich von diesem Grundprinzip. Dennoch ist sie die erste ihrer Art. Warum?
Ganz einfach… Die Besonderheit dieser Anlage ist, dass sie im See schwimmt und auch vom Wasser des Sees gespeist wird. Durch zwölf Wasserpumpen und diverse Klappen, die in Form und Winkel variiert werden können, lassen sich eine Vielzahl von unterschiedlichen Surfbedingungen simulieren.
Ihr könnt Euch vielleicht denken, was das Vöglein mir gezwitschert hatte, denn kurze Zeit später saßen wir in der Familienkutsche und fuhren in Richtung Langenfeld. Ich war schon etwas skeptisch, hatte ich doch schon vieles über stehende Wellen gehört – sowohl positives als auch negatives.
Man kann auf der Webseite jeweils einstündige Sessions buchen: einen Surfkurs für Beginner, eine Medium Surf Session für etwas erfahrenere Surfer und eine Big Surf Session für die Fortgeschrittenen. Ich stand schon längere Zeit nicht mehr auf dem Brett und entschied mich daher für die gemütliche mittlere Variante.
Nachdem ich verbindlich gebucht hatte, kreisten meine Gedanken um diese eine Welle. Ich schaute mir Videos davon an und überlegte, ob das wirklich was für mich sein sollte. Bislang war ich ausschließlich auf Longboards in echten natürlichen Wellen unterwegs und hatte mich eigentlich genau darauf gefreut.
Nun hatte ich mir als Ersatz für die geplatzte Maisurftour für 34 Euro eine einstündige Surfsession auf einer acht Meter breiten und vielleicht einen Meter hohen künstlichen stehenden Welle gekauft, die ich mir nun mit zwölf anderen Leuten auf geliehenen, bestimmt viel zu kurzen Softtop-Boards teilen durfte.
Unsere Gruppe war an der Reihe. Wir bekamen gelbe Lycras, die wir uns über den Neoprenanzug ziehen sollten. Spätestens jetzt fühlte ich mich wie ein Surfschüler in einem Anfängersurfkurs. Alle im Halbkreis aufgestellt fragte uns der Instruktor: „Wer von Euch war noch nie auf dieser Anlage?“ – Inklusive meinem wurden drei Arme in die Höhe gestreckt. „Auf einer stehenden Welle waren aber alle schon mal, oder?“ – Alle außer mir nickten, verdammt!!!
Es wurde ernst. Mein Brett war ein 5‘6“ kurzes weiches Plastikbrett mit Flexfinnen und Deckpad, mit dem wir uns erstmal neben der Anlage warmpaddeln sollten, während die vorherige Gruppe ihre letzten Wellen surfte. Solch ein kurzes Brett bin ich vorher noch nie gepaddelt. Ich setzte mich auf und war bis zu den Brustwarzen im Wasser verschwunden.
Unsere einstündige Session ging los. Ich stellte mich ganz hinten an, um meine Mitstreiter genau zu beobachten. Wir waren übrigen nur zu siebt: drei Ältere, zu denen ich mich auch zählte und vier Jugendliche. Mein Unmut stieg, als sich auch mein direkter Vorgänger routiniert vom Beckenrand abstieß und auf dem Brett etwa dreißig Sekunden lang locker hin- und herfuhr.
Ich war nun an der Reihe. Gegenüber stand noch ein Goofy-Footer, dem ich mit einem freundlichen Kopfnicken Vorrang gewähren wollte, aber der Instruktor wusste es besser. „Nee, Du bist jetzt dran!“ – „Okääääy …“ – „Brauchst Du Hilfe?“ – „Ähhh, ja …“
Die ersten Versuche fielen mir wirklich schwer und ich schämte mich auch ein wenig, war ich doch als gestandener Surfer mit einer Board-Erfahrung von mehreren Jahrzehnten angereist. Nun zeigten mir die Anlage, meine derzeitige Fitness und meine Mitstreiter eindeutig meine Grenzen auf. Nach mehreren Fehlversuchen klappte zumindest das Aufstehen. Ich setzte mich auf den Beckenrand direkt unter den Wellenkamm, hielt das Board an der Spitze fest, stieg mit dem hinteren Fuß auf das Heck, ließ vorne los und stieg mit dem vorderen Fuß auf den vorderen Teil des Deckpads. Nun konnte ich mich auf dem Hintern, mit beiden Händen auf dem Beckenrand abstützend, ein Stück in Richtung Wellental robben. Als nächstes musste der Hintern runter vom Beckenrand, Schwerpunkt nach unten, etwas in die Knie gehen, mit den Händen abstoßen und los ging es.
Hatte ich es endlich geschafft, mich unfallfrei vom Beckenrand auf die Welle abzustoßen, machte das Board unter mir, was es wollte. Gleiten ging zwar einigermaßen, sobald ich jedoch in den Turn wollte, spitzelte der Bug ein – Platsch. Dann kam der entscheidende Hinweis vom Instruktor: „Du musst mehr über den hinteren Fuß fahren!“ Zum Ende der Session hin hatte ich den Dreh langsam raus und es klappte immer besser. Ich war aber durch die vielen Abgänge, die Paddelei gegen die Strömung zurück und das finale Hochhieven auf die Anlage ziemlich platt. Es waren mehr als zehn Versuche, die ich in dieser einen Stunde hatte.
Alles in allem bin ich ganz zufrieden mit mir und meiner Leistung. Ich bräuchte aber wohl noch mindestens ein bis zwei weitere Sessions, damit ich behaupten kann, die Anlage zu beherrschen. So hat die Anlage eher mich beherrscht und mir meine physischen Grenzen aufgezeigt. Das Surfen ersetzt eine solche Anlage meiner Meinung nach nicht. Es versaut einem sogar ein bisschen den Surfstil, genauso wie ich vom richtigen Surfen versaut anfangs mit dieser Anlage schwer zurechtkam.
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Interessanter Selbstversuch
tripmaster on Mi, 05/23/2018 - 12:35habe in meiner Jungend ja ein paar mal die Floßlände und den Eisbach in München "gesurft".
Wie bei dir war das geradeaus fahren kein großes Problem aber die Turns am jeweiligen Ende der schmalen Welle waren das Hindernis. Entschlossenes Agieren und Kopfsteuerung waren der Schlüssel um um die Kurve zu kommen. Blick lösen von der scheinbar bedrohlich auf einen zukommenden Wand am Bachrand und den Kopf da hin drehen, wo man als nächstes hin will.
Insgesamt habe ich das aber mehr als netten Sommer-Erfrischungsspaß gesehen und nicht als Ersatz für Surfen. Geld und Anreisezeit für eine künstliche und kostenpflichtige stehende Welle würde ich nicht investieren.
Die geringe Breite ...
Tim on Mi, 05/23/2018 - 13:23... hat mich schon etwas irritiert. Hab auf der Herstellerseite gesehen, dass es diese Anlage auch in doppelt so breit gibt. Kostet dann aber doppelt so viel
was dann wohl wieder dazu führt
tripmaster on Mi, 05/23/2018 - 14:11dass der CO2 - Verbrauch für eine Session auf der Anlage dem eines 800 km one way Trips ans richtige Meer entspricht.
Dazu käm das Problem mit all den Leuten, die auf so einer Anlage das "Surfen" gelernt haben und bei nächster Gelegenheit hochkompetent die richtigen Lineups fluten.....
Ich glaube nicht ...
Tim on Mi, 05/23/2018 - 16:44... dass man sich auf solchen Anlagen das nötige Rüstzeugs holen kann, um in richtigen Lineups klarzukommen. Lineup Rules, Lesen von Wellen, richtiger Takeoff, mehr als 8m down the line surfen, duckdive/turtleroll, .... lernt man da alles nicht. Über den ökologischen Fingerabdruck brauch man glaube ich auch nicht zu philosophieren, der ist so oder so unterirdisch. Ich fand’s ne nette Abwechslung, und von hier aus fährt man auch nur ne 3/4 Stunde. Sonst hätte ich’s wohl auch nicht gemacht.