Herbstsessions 2012

Teil 3

24.11. - 08.12. ...wo wohl?

 

Es ist Ende November. Eine nachhaltige Änderung der Großwetterlage kündigt sich bereits seit einiger Zeit an. Weit draußen auf dem Atlantik wird die milde, zonale, westliche Strömung immer wieder von meridionalen Strömungsmustern unterbrochen. Warme Luftmassen aus dem Süden kommend unterstützen dabei Hochdruckblockaden über dem Atlantik, die ihrerseits swellbringende atlantische Tiefs am Vorankommen hindern. Östlich dieser Blockaden bilden sich infolge dessen Kaltlufttröge, an deren Vorderseite zunächst noch milde Luft aus dem Südwesten auf die Nordsee fließt. Rückseitig dringt aber bereits arktische Kaltluft bis weit nach Süden vor und lässt den europäischen Kontinent nach und nach auskühlen. Atlantische Tiefdruckgebiete schlagen nun südlichere Routen ein, wobei auf deren Nordseiten immer wieder kurze und kräftige Schübe sibirischer Kaltluft vom skandinavischen Festland über die Ostsee kommend nun auch die Areale der Nordsurfer allmählich in Kühlschränke verwandeln. Niederschläge fallen dabei bis ins Flachland hinunter vorwiegend in fester Form.

Kurz gesagt: Pünktlich zum Ende des meteorologischen Herbstes wurde also die mit plus zwei Grad und Nieselregen durchsetzte Luftmasse zunächst durch eine etwas wärmere, kurze Zeit später durch eine wesentlich kältere Luftmasse ersetzt.

Minus zwei Grad im Nebel am Morgen auf einem Rastplatz in der Nähe von Herning gehen auf der restlichen Fahrt in Richtung Westküste allmählich über in plus einem Grad bei leichtem Schneeregen.  Das magische Seegras hat mir mal wieder eine aus Nordwesten kommende Dünung von 0,2 Fuß und  11 Sekunden Periode versprochen, die sich über die nördliche Nordsee nach Süden bis an die nördliche Westküste Dänemarks vorarbeiten soll. Je nach Lust und Laune der Natur ist dabei zwischen episch und Ententeich alles möglich.

Etwas Geduld muss man bei derartigen Bedingungen schon mitbringen und ein wenig Glück sollte man ebenfalls haben. Das Zeitfenster ist kurz und das Swellfenster ist nordseetypisch wie immer klein. Solange man sich aber nicht aus der Ruhe bringen lässt, alles so nimmt wie es kommt und das Beste daraus macht, kann man auch aus solchen Verhältnissen seinen Nutzen ziehen. In meinem Fall ist es ein langer meditativer Strandspaziergang an einem Ort der Ruhe.  Ich muss nicht immer auf Gedeih und Verderb im Wasser sein und surfen. Häufig sind es auch solche Momente am Wasser, die in mir ein Gefühl der Ausgeglichenheit  hervorrufen.

Wir schreiben den 08. Dezember 2012, die Morgendämmerung setzt am frühen Vormittag allmählich ein - höchste Zeit aufzustehen! Die Tageslänge hat beinahe ihr Minimum erreicht und mehr als zwei Sessions pro Tag(eslichtperiode) sind theoretisch kaum mehr möglich. Ein Parkplatz direkt am Wasser beschert mir beinahe tropisch anmutende Verhältnisse. Die Heizung surrt leise vor sich hin und hält das Wageninnere auf konstante 21,5 Grad. Ich wische mir den Schlaf aus den Augen und kratze die von innen gefrorene Windschutzscheibe frei.

Doppelte Ernüchterung macht sich breit. Zum einen ist die Außentemperatur in der vergangenen wolkenlosen Nacht selbst unmittelbar am Wasser auf minus fünf Grad gesunken, zum anderen ist vom gestrigen Südswell so gut wie gar nichts mehr übrig. Es ist immer wieder unfassbar, wie schnell das geht.

Am Vortag stand ich nach dreieinhalbstündiger Fahrt noch mit großen Augen am Strand meiner Wahl. Der ablandige Wind war kaum vorhanden, im Grunde perfekte Bedingungen. Nur leider musste ich feststellen, dass die eigentlich für kleine bis mittlere Wellenhöhen perfekten Sandbänke mit dieser Größe schier überfordert waren. Von der unaufhaltsam näher rückenden Abenddämmerung getrieben, begab ich mich noch verzweifelt auf Spotsuche. Am dritten Westküstenspot machte sich dann aber endgültig Resignation breit. Es war 16 Uhr und die Sonne war bereits hinterm Horizont verschwunden.

Über Nacht hat sich die Nordsee an der Mole Q also in einen Ententeich verwandelt, na toll… Immerhin sieht es nicht ganz hoffnungslos aus. Zu den lustlos dahinschwabbelnden unsurfbar kleinen Nachzüglern des gestrigen Südswells gesellen sich offenbar auch Linien aus Nordwest. Der Weg führt nach Norden.

Über verschneite und vereiste Pisten abseits der 181 hält der Tempomat das Fahrzeug konstant auf Tempo 30 - eilig habe ich es nicht. Nach kurzer Zeit strömt heiße Luft durch die Lüftungsschlitze in die Fahrerkabine. Ich genieße die Fahrt, halte hier und dort an, um einen Blick über die Düne zu werfen. Schließlich stehe ich wieder an derselben Stelle, wo ich gestern bereits gestanden habe.

Die Luft ist frostig und klar. Es weht ein kaum spürbarer ablandiger Wind. Der Geruch von verbranntem Kaminholz aus der angrenzenden Ferienhaussiedlung ist allgegenwärtig, während ich wie gebannt aufs Wasser starre. Die Begeisterung hält sich dennoch in Grenzen. Auch hier ist der Südswell bereits durchgelaufen, während der Nordwestswell zwar wahrnehmbar, aber leider noch zu klein ist - noch… Ich bleibe wie so häufig hier und sitze das aus.

Der Vormittag plätschert so dahin. In meinem Handy sitzt ein älterer Herr, der mir ein Harry-Potter-Buch vorliest, die Gasheizung verrichtet fleißig ihren Dienst, der Kaffee und die Brötchen vom Bäcker um die Ecke schmecken vorzüglich und draußen schält sich langsam die Sonne durch die Wolken. Zeit für einen kleinen Wellencheck.

Vom Südswell ist nichts mehr übrig, umso dominanter sind nun die Linien, die sich von Nordwesten her ihren Weg an die Küste bahnen. Die Wellen brechen jetzt etwas weiter draußen. Bedauerlicherweise sind die einst so gut positionierten Sandbänke nur noch ein Schatten ihrer selbst. Diverse Herbststürme haben ganze Arbeit geleistet. Die Suche geht also weiter.

Ein ausgedehnter Strandspaziergang bringt die Erleuchtung. Ein paar Buhnen weiter entdecke ich eine Sandbank, die einen für diese Bedingungen optimal laufenden Rechtshänder hervorbringt. Es ist nach wie vor fast windstill und die tiefstehende Sonne erwärmt die frostige Luft ein wenig. Ich bin mir sicher, dass ich der Erste bin, der dieses vergängliche Juwel surft. Wer weiß, vielleicht werde ich auch der Einzige und der Letzte sein, bevor einer der nächsten Weststürme diesen Spot wieder zunichtemachen wird. In zwei Stunden surfe ich nicht weniger als 20 Wellen, die sich immer wieder auf dieselbe Weise dezent, dabei aber alles andere als kraftlos über die Sandbank schälen. Ich kann ein wenig an meinen Dropkneeturns arbeiten und ein paar Noserides auf die Schulter setzen. Als die Sonne hinter den Wolken verschwindet, fängt die Kälte langsam an, in den Anzug zu kriechen - es wird Zeit aufzuhören.

Das Autothermometer zeigt nach wie vor minus fünf Grad an. „Ist das nicht ein bisschen kalt?“ - „Ja, das ist nicht ein bisschen kalt. Das ist saukalt!“ … aber ich bin froh, dass ich es gemacht habe und würde es jederzeit wieder tun.

 

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Bild von tripmaster

brrrrrr

tripmaster on Mi, 12/12/2012 - 10:03

Eisbär müsste man sein.....
wie war´s denn Sonntag? Da müsste ja zumindest spät nachmittags der Wind noch mal gedreht haben.

Bild von boerni

Die Wellen...

boerni on Di, 12/11/2012 - 22:36

hast du dir mal wieder redlich verdient! Der Trip ist das Erlebnis!