Herbstsessions 2012
Teil 2
31.10. - 18.11., nach wie vor Dänemark
Der Herbst 2012 hält bislang das, was ich mir insgeheim erhofft hatte. Der Nordatlantik ist sehr aktiv. Es werden unablässig Swells erzeugt, von denen regelmäßig druckvolle Ausläufer aus Nordwesten kommend mit langer Periode den Weg in die Nordsee finden, um später bei begünstigenden lokalen Winden an Land zu treffen. Wenn mal kein Nordwest-Swell vorhanden ist, reichen schon kräftige Südwestwinde über dem südlichen Teil der Nordsee aus, um mächtige Wellen entstehen und nach Norden ziehen zu lassen, die bei vorwiegend südlichen bis südöstlichen Winden in Küstennähe schräg auf Land treffen. Viele Shorebreaks in unmittelbarer Strandnähe erstrahlen dabei in ihrem kraftvollen, vergänglichen und dabei ungewöhnlich schönem Glanz.
Man muss gar nicht lange suchen, um bei solchen Bedingungen nahezu menschenleere Shorebreakwellen zu finden, die es an manchen Tagen für absehbare Zeit mit manch anderen weltbekannten Wellen dieser Art aufnehmen können. Ich kenne jemanden aus Hamburg, der würde da sofort reingehen. Nicht ganz so einfach gestaltet sich da manchmal schon die Suche nach adäquaten Untergründen für ein Gleitmittel der etwas längeren Sorte.
Der goldene Oktober neigt sich dem Ende und überlässt das Feld einem trüben, nasskalten und dunklen November. Tiefhängende Wolken, Nieselregen, Temperaturen im tiefen einstelligen Bereich und Dauerzwielicht während der wenigen Tageslichtstunden lassen jedes Sommerfeeling im Keim ersticken. Bei Dunst mit Sichten von nicht mehr als drei Kilometern ist die Tageslichtphase (nicht nur) gefühlt noch kürzer, als sie eh schon ist.
Die Nächte sind lang - 16 Stunden Dunkelheit am Stück dürfen nun mehr oder weniger sinnvoll überbrückt werden. Das stetig monotone Rauschen der gasbetriebenen Standheizung, energiesparendes Kerzenlicht und ein überschaubares Unterhaltungsprogramm sind die permanenten Begleiter in meiner knapp 10 m² messenden rollenden Dreizimmerwohnung. Umgekehrt proportional zum Temperaturverlauf gestaltet sich der Gasverbrauch, um die entsprechenden Kubikmeter auf konstant 21,5°C zu halten. Entsprechend der Jahreszeit kostet mich der Luxus in Form von Autogas für ein Wochenende zurzeit etwa acht Euro. Verglichen mit den reinen Fahrtkosten ist das ein fast verschwindend geringer Betrag. Der Solarenergie-Beitrag vom Dach ist annähernd Null, was dazu führt, dass ich nun etwas häufiger auf Spotsuche fahren darf. Ohne externe Stromquelle sind auch zweimal 110 Amperestunden schnell leergelutscht.
Wenn man sich entscheidet, auch in dieser Jahreszeit die Wochenenden autark am Strand stehend zu verbringen, muss man haushalten und mit dem zufrieden sein, was einem die Gegebenheiten vor Ort so bieten - und da bietet sich Einiges an. Alle Jahre wieder komme ich von Neugier, Hoffnung oder sonstigen Beweggründen getrieben an Orte, wo ich zwei Monate zuvor noch mit kurzer Hose, T-Shirt und Badeschlappen gechillt habe. Nun finde ich solche Orte zur gleichen Tageszeit bei absoluter Dunkelheit, zwei Grad und Nieselregen vor. Ein Menschenleben lang immer wieder erstaunlich. Nun bin ich nicht hier, um mich halbnackt in der Sonne zu aalen, während ich von dicken November-Schwellungen träume. Nein, ich bin hier, um auf dicken November-Schwellungen sanft dahin zu gleiten, während ich davon träume, mich halbnackt in der Sonne zu aalen.
Es ist gar nicht so kalt wie viele nichtsurfende Menschen denken. Ganz im Gegenteil. Wenn ich den sechs Millimeter dicken Neoprenanzug mit integrierter und dichter Haube angezogen hab, die sieben Millimeter dicken Schuhe, die jeweils über ein fellartiges Innenleben verfügen, mit Klebeband wasserdicht an den Sprunggelenken fixiert hab und die fünf Millimeter dicken, ebenfalls plüschige Innenseiten aufweisenden Fingerhandschuhe einigermaßen sitzen, ist mir sogar ziemlich warm. Mit dem etwa 10°C temperierten Wasser komme ich nur dann in Kontakt, wenn mir einen Schwall davon ins Gesicht schwabbt.
An die etwas eingeschränktere Bewegungsfreiheit im Gegensatz zum Adamskostüm gewöhne ich mich schnell. Nacktsurfen würde bei diesen Temperaturen eh schon nach wenigen Minuten den Kältetod hervorrufen. Nach zwei bis drei Stunden schäle ich mich in wohltemperierter Umgebung wieder aus meiner Neoprensauna und nehme eine heiße Dusche. Nein, frieren tue ich beim Surfen auch in der kalten Jahreszeit nicht.
Kurze Zeit später stehe ich mit der Fotokamera auf der Düne in Richtung Meer blickend, mache ein paar Bilder von meist ungesurften Wellen fürs Nordsurf-Syndikat und für mein eigenes Archiv. Nach einer knappen halben Stunde spüre ich meine Finger und meine Zehen nicht mehr und auch der restliche Körper zehrt langsam in der alles durchdringenden feuchten Kälte aus. Als es wieder zu Nieseln beginnt, ziehe ich mich zurück in die 21,5°C warme Dreizimmerwohnung auf dem Dünenparkplatz, mache mir einen Tee und bereite mich auf die nächste Session vor.
Mehr Bilder gibt es hier
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Schöne Wellen...
coldwaves on Mo, 11/19/2012 - 21:10...die man erstmal finden muß, gut gemacht Tim.
deftige Sandsauger
tripmaster on Mo, 11/19/2012 - 10:20deftige Sandsauger sind das auf den ersten beiden Bildern!
muss meine Standheizung erst noch fertig bauen.....
Das ist...
boerni on Mo, 11/19/2012 - 07:56mal n schöner Blog!
Ich freu mich schon, wenn meine Standheize überhaupt läuft.