Für meinen Beitrag im Rahmen des diesjährigen Jubiläums habe ich das Jahr 2012 ausgewählt. Für mich war das ein ganz besonderes Jahr, nicht nur weil ich 2012 so viel Zeit an und in Nord- und Ostsee verbracht hatte wie in keinem anderen Jahr davor oder danach. Dabei hatte es eigentlich gar nicht so toll begonnen mit einem komplett geschrotteten Fuß und vier Monate Zwangspause. Diese Pause nutzte ich für reichlich Reha, für viele Gedanken bezüglich meiner Zukunft als Nordsurfer, für die Anschaffung eines neuen Noseriders und für den Beginn einer weiteren Leidenschaft - SUP. In dem Jahr lernte ich, wie mühsam es sein kann, sich körperlich vom Nullzustand wieder auf ein nordsurftaugliches Niveau hochzuarbeiten, mit dem man selbst einigermaßen zufrieden sein kann. Die Höhepunkte waren ein paar aus meiner Sicht legendäre Herbstsessions bei absolut grandiosen Bedingungen an der West- und Nordküste Dänemarks. Die Kälte kam in dem Jahr sehr früh, hielt mich aber nicht davon ab, das Wochenende dort zu verbringen - Zeit für eine kleine Nordsurfsession, frisch aus dem Eisschrank, wie so häufig beginnend mit einem kleinen meteorologisch/ ozeanographischen Abriss der Ausgangssituation.

Herbstsessions, 11.12.2012 - Es ist Ende November. Eine nachhaltige Änderung der Großwetterlage kündigt sich bereits seit einiger Zeit an. Weit draußen auf dem Atlantik wird die milde, zonale, westliche Strömung immer wieder von meridionalen Strömungsmustern unterbrochen. Warme Luftmassen aus dem Süden kommend unterstützen dabei Hochdruckblockaden über dem Atlantik, die ihrerseits swellbringende atlantische Tiefs am Vorankommen hindern. Östlich dieser Blockaden bilden sich infolge dessen Kaltlufttröge, an deren Vorderseite zunächst noch milde Luft aus dem Südwesten auf die Nordsee fließt. Rückseitig dringt aber bereits arktische Kaltluft bis weit nach Süden vor und lässt den europäischen Kontinent nach und nach auskühlen. Atlantische Tiefdruckgebiete schlagen nun südlichere Routen ein, wobei auf deren Nordseiten immer wieder kurze und kräftige Schübe sibirischer Kaltluft vom skandinavischen Festland über die Ostsee kommend nun auch die Areale der Nordsurfer allmählich in Eisschränke verwandeln. Niederschläge fallen dabei bis ins Flachland hinunter vorwiegend in fester Form […] Das magische Seegras hat mir eine aus Nordwesten kommende Dünung von 0,2 Fuß und  11 Sekunden Periode versprochen, die sich über die nördliche Nordsee nach Süden bis an die nördliche Westküste Dänemarks vorarbeiten soll. Je nach Lust und Laune der Natur ist dabei zwischen episch und Ententeich alles möglich.

Das Wellenreiten ist für mich der perfekte Sport, um mein Faible für Wetter und Wellen in der freien Natur auszuleben. Wenn ich montags auf der Arbeit gefragt werde, was ich denn am Wochenende so gemacht habe, ist meine Antwort nicht selten: „Ich habe mich der angewandten Ozeanographie gewidmet.“ So oder so ähnlich muss wohl auch meine Antwort ausgefallen sein, als ich nach diesem Trip am Montag mal wieder mit einem breiten Grinsen auf der Arbeit erschienen bin. Das Schreiben ist eine weitere große Leidenschaft von mir. Es ist die Gelegenheit, das Erlebte nicht nur im Kopf zu verarbeiten, sondern auch für mich und die Nachwelt zu konservieren. Häufig beginne ich mit dem Schreiben eines Surfblogs bereits unterwegs. Wenn ich mit meinem Wohnmobil an einem Ort meiner Wahl - vorzugsweise einem Strand mit Meerblick - stehe, kommen mir in der Regel die besten Ideen. In diesem Fall stand ich mitten in einem Eisschrank.

Wir schreiben den 08. Dezember 2012, die Morgendämmerung setzt am frühen Vormittag allmählich ein - höchste Zeit aufzustehen! Die Tageslänge hat beinahe ihr Minimum erreicht, so dass mehr als zwei Sessions pro Tag(eslichtperiode) theoretisch kaum mehr möglich sind. Ein Parkplatz direkt am Wasser beschert mir beinahe tropisch anmutende Verhältnisse. Die Heizung surrt leise vor sich hin und hält das Wageninnere auf konstante 21,5 Grad. Ich wische mir den Schlaf aus den Augen und kratze die von innen gefrorene Windschutzscheibe frei. Doppelte Ernüchterung macht sich breit. Zum einen ist die Außentemperatur in der vergangenen wolkenlosen Nacht selbst unmittelbar am Wasser auf minus fünf Grad gesunken, zum anderen ist vom gestrigen Südswell so gut wie gar nichts mehr übrig. Es ist immer wieder unfassbar, wie schnell das geht - Herbstsessions, 11.12.2012

Auch wenn es am Anfang gar nicht danach aussah, sollte es sehr wohl einer dieser besonderen Tage werden, die mir wahrscheinlich für immer im Gedächtnis bleiben. Nachdem wenige Stunden zuvor noch der blanke Hans auf der Nordsee wütete und kräftige Schneeschauer die Küstenlandschaft immer mehr in ein Wintermärchen verwandelten, stellte sich der darauffolgende Tag komplett anders dar.

Die Luft ist frostig und klar. Es weht ein kaum spürbarer ablandiger Wind. Der Geruch von verbranntem Kaminholz aus der angrenzenden Ferienhaussiedlung ist allgegenwärtig, während ich wie gebannt aufs Wasser starre. Die Begeisterung hält sich dennoch in Grenzen. Der  Südswell ist bereits durchgelaufen, während der Nordwestswell zwar wahrnehmbar, aber leider noch zu klein ist - noch… Ich bleibe wie so häufig hier und sitze das aus. Der Vormittag plätschert so dahin. In meinem Handy sitzt ein älterer Herr, der mir ein Harry-Potter-Buch vorliest, die Gasheizung verrichtet fleißig ihren Dienst, der Kaffee und die Brötchen vom Bäcker um die Ecke schmecken vorzüglich und draußen schält sich langsam die Sonne durch die Wolken. Zeit für einen kleinen Wellencheck - Herbstsessions, 11.12.2012

Die folgende Wellencheckerrunde hätte ich heutzutage selbstverständlich mit einer Hunderunde verknüpft. Meine Mädels lieben Schnee, und wenn er dann auch noch derart unberührt am Strand liegt, sind sie einfach nicht mehr zu halten.

Der ausgedehnte Strandspaziergang bringt die Erleuchtung. Ein paar Buhnen weiter entdecke ich eine Sandbank, die einen für diese Bedingungen optimal laufenden Rechtshänder hervorbringt. Es ist nach wie vor fast windstill und die tiefstehende Sonne erwärmt die frostige Luft ein wenig. Ich bin mir sicher, dass ich der Erste bin, der dieses vergängliche Juwel surfen wird. Wer weiß, vielleicht werde ich auch der Einzige und der Letzte sein, bevor einer der nächsten Weststürme diesen Spot wieder zunichtemachen wird - Herbstsessions, 11.12.2012

Intuitiv schien ich zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen zu sein, um  ein kleines Zeitfenster optimal nutzen zu können. Die Tür stand weit offen, ich brauchte nur noch hindurch zu gehen.

In zwei Stunden surfe ich nicht weniger als 20 Wellen, die sich immer wieder auf dieselbe Weise dezent, dabei aber alles andere als kraftlos über die Sandbank schälen. Ich kann ein wenig an meinen Dropkneeturns arbeiten und ein paar Noserides auf die Schulter setzen. Als die Sonne hinter den Wolken verschwindet, fängt die Kälte langsam an, in den Anzug zu kriechen - es wird Zeit aufzuhören - Herbstsessions, 11.12.2012

Das war einer dieser magischen Momente, die ich als Nordsurfer so sehr liebe und Euch natürlich nicht vorenthalten wollte.

Bild von coldwaves

Die Standheizung...

coldwaves on Do, 02/23/2017 - 14:57

...war sicherlich gut am feuern :-)

Bild von tripmaster

brrrrr

tripmaster on Do, 02/23/2017 - 10:52

da friert man ja schon vom Bilder anschauen...
so ein Blog bräuchte eigentlich noch eine Warnung zu langfristigen Gesundheitsrisiken für Surfer über 30 ;=)