Tims Surfwetter

Den "Epic Days" auf der Spur


Die Hurrikan-Saison beginnt laut Definition jedes Jahr am 1. Juni und endet am 30. November. Die Wahrscheinlichkeit des Auftretens solcher Windsysteme ist in diesem Zeitraum am größten. Das heißt jedoch nicht, dass es eine hundertprozentige Hurrikan-Garantie gibt, und schon gar nicht, dass ein solches System surfbare Wellen an europäische Küsten schickt. Nicht erst seitdem ich mich näher mit der Meteorologie und der angewandten Ozeanografie (hier: Surfen) befasse, gibt es Jahre mit vielen Hurrikans und Jahre, in denen Hurrikans fast gänzlich ausbleiben. Die meisten Menschen assoziieren Hurrikans mit Tod und Verwüstung in der Karibikregion. Dass sie jedoch auch Jahr für Jahr viele Surferherzen zum Leuchten bringen und vor allem warum, wissen die wenigsten. Im folgenden Beitrag werde ich anhand eines Beispiels erklären, wie es ein unscheinbares Gewitter vor Westafrika geschafft hat, (nicht nur…) die dänische Nordseeküste vorübergehend in ein Wellenparadies zu verwandeln.

Hvide Sande am 21.09.2008

Im September 2008 brachte ein Hurrikan namens „IKE“ in seinem knapp dreiwöchigen Dasein nicht nur Tod und Zerstörung, sondern auch nahezu im gesamten Nordatlantik und den angrenzenden Meeren epische Surfbedingungen. In diesem Beitrag werden wir „IKE“ auf seiner Reise begleiten.

Bevor es losgeht, gibt es aber noch ein paar allgemeine Definitionen:

Der Hurrikan (engl. Hurricane) verdankt seinen Namen der Mythologie der Maya. Dort tauchte das Wort zum ersten Mal bereits in der Schöpfungsgeschichte "Popol Vuh" auf. Dort ist "Hun yua kan" die "göttliche Spirale am Himmel". Die Gottheit „Hurakan“ verkörperte bei den Maya den Gott des Windes, der mit seinem Atem über das Meer blies und das Land austrocknete. Dem abgeleitet wurde der Gott des Bösen, „Hurican“. In der englischen Sprache wurde daraus dann der „Hurricane“, bzw. eingedeutscht der „Hurrikan“.

Hurakan

Nach Holland, G.J. (1993) ist ein Hurrikan ein regionaler Ausdruck für einen besonders starken tropischen Wirbelsturm. Dabei bezeichnet ein tropischer Wirbelsturm ein Tiefdruckgebiet ohne Fronten, das sich über tropischen oder subtropischen Gewässern mit organisierter Konvektion (z.B. Gewittern) und einer nachweislich vorhandenen Bodenwindzirkulation befindet.

Nach Neumann, C.J. (1993) gibt es folgende Klassifizierungen von tropischen Wirbelstürmen: Bei mittleren Windgeschwindigkeiten von weniger als 34 Knoten (63 km/h) handelt es sich um eine „tropische Depression“. Zu einem „tropischen Sturm“ wird befördert, wer einen maximalen Mittelwind von mindestens 34 Knoten (63 km/h) vorweisen kann. Den Namen „Hurrikan“ verdient ein tropischer Wirbelsturm erst dann, wenn der maximale Mittelwind mehr als 64 Knoten (118 km/h) beträgt – das ist Windstärke 12.

Regional sollte sich ein solcher Hurrikan auf den Atlantik, den Nordostpazifik östlich der Datumsgrenze, oder dem Südpazifik östlich von 160 Grad östlicher Länge beschränken. Andernfalls würde es sich um einen „Taifun“, „Zyklon“ oder im Falle der Frontenausbildung um ein ganz normales Tiefdrucksystem handeln.

Hat sich ein tropischer Wirbelsturm „endlich“ mal zu einem Hurrikan entwickelt, kann man ihn nach Simpson, R.H. und H. Riehl (1981) abhängig von der mittleren Windgeschwindigkeit noch in fünf Kategorien einteilen. Die sogenannte Saffir-Simpson-Skala dient der Abschätzung der Überschwemmungsgefahr und der möglichen Schäden. Dabei steht die Kategorie 1 für die schwächste Form mit Windgeschwindigkeiten von 64 – 82 Knoten und Kategorie 5 für die stärkste Form mit Windgeschwindigkeiten von mehr als 136 Knoten und entsprechend katastrophalen Auswirkungen.

Saffir-Simpson-Scale

Das sind eine Menge Eigenschaften, die ein solcher Hurrikan für seine Daseinsberechtigung haben muss. Entsprechend wichtig, aber leider auch sehr schwierig ist seine Vorhersage bezüglich Intensität und Zugrichtung. Alles hängt von so vielen Faktoren ab: Wassertemperatur (optimal sind > 27°C), Lufttemperatur, atmosphärische Schichtung, Höhenwinde, Scherung, … Dabei ist ein Hurrikan trotz seiner enormen Energie ein hochsensibles System. Die kleinste Änderung nur einer dieser Parameter kann massive Auswirkungen auf das weitere Fortbestehen eines Hurrikans haben. 

Zugrichtungen aller Hurrikans von 1980 - 2005

Im Grunde beginnt alles vor der westafrikanischen Küste mit ein paar Gewitterzellen. Es ist Anfang September und das Wasser auf dem tropischen Atlantik hat eine Temperatur von etwa 28°C. Eine dieser Gewitterzellen entwickelt sich zu einer Art Superzelle und fängt an zu rotieren. Eine tropische Depression ist geboren. Depressiv wie sie ist, muss sie durch das warme Wasser darunter ständig ausreichend Energie in Form von Wasserdampf und Wärme erhalten. Nur so kann sie bei Laune gehalten werden. Je wärmer das Wasser desto besser, denn so gewinnt sie schnell an Intensität, während sie durch die Höhenströmung angetrieben einen Kurs in Richtung Westen einschlägt – ein Tapetenwechsel tut in einer solchen Stimmungs- und Gefühlslage halt manchmal ganz gut. Wetterdienste werden auf das depressive Verhalten dieser rotierenden Gewitterzelle aufmerksam. Modellrechnungen prognostizieren für die kommenden Tage bereits Windgeschwindigkeiten, die eines Hurrikans der Kategorie 1 würdig sind.

Berechnete Zugbahn von "IKE"

Die Namensgebung sah eine ganze Zeit lang vorwiegend weibliche Vornamen für Hurrikane vor. Alice Schwarzer & Co. zum Dank wechselt nun das Geschlecht seit geraumer Zeit von Hurrikan zu Hurrikan. Da der Vorgänger bereits den Namen „Hanna“ erhalten hat, muss sich unsere depressive Tropengewitterdame nun auch noch einer Geschlechtsumwandlung unterziehen, zum Mann werden und von nun an den Namen „IKE“ tragen – tja, auch Frau hat es in Zeiten der Gleichstellung nicht immer leicht.

"IKE" 

Zum „IKE“ mutiert kann dieser das natürlich nicht so auf sich sitzen lassen und wird mächtig böse. Ordentlich auf Krawall gebürstet erreicht „er“ am 8. September mit Windgeschwindigkeiten von fast 200 km/h (das entspricht der Kategorie 3) die vorgelagerten Inseln am Rande der Karibik und verwüstet dort ganze Landstriche.

Verwüstungen durch "IKE"

Spätestens jetzt werden die Surfer der US-Amerikanischen Golfstaaten nervös. Nach den Modellrechnungen soll „Ike“ ein paar Tage lang in der Karibik auf offener See bleiben und bei Houston in Texas einen kleinen Landausflug machen und ein paar Tage später wieder auf den Atlantik ziehen. In kurzen Zeitfenstern werden für die Surfer an der Golfküste große Wellen bei günstigen Winden (Offshore, Flaute) vorhergesagt.

Berechnete Zugbahn von "IKE"

Während die Inselwelt um Haiti langsam anfängt, die Schäden zu beseitigen und um die vielen Toten zu trauern, befindet sich „IKE“ bereits wieder mitten über der Karibik. Bei Windgeschwindigkeiten weit jenseits der 200 km/h (Kategorie 4) werden mächtige Wellen erzeugt, die an den Küsten der Karibik auf vorgelagerte Riffe oder Sandbänke treffen und dort (günstige Winde vorausgesetzt) vorübergehend für richtig gute Surfbedingungen sorgen.

Golfküstensurf 12.09.2008

An anderen Orten treffen widerum Wellen, Wind und Hochwasser mehr oder weniger gleichzeitig an die Küste. In den 3 Tagen zwischen dem 12. und 14.9. genießen zahlreiche Surfer an den Küsten der Golfstaaten die von „IKE“ erzeugte Dünung, freuen sich über epische Bedingungen in kleinen Zeitfenstern, bevor es für die Küstenbewohner von Texas langsam wieder ernst wird. Am 13.9. trifft "IKE" auf die Küste von Texas. Behörden sprechen von einem der teuersten Hurrikane der letzten Jahre. Nach dem Landgang wird es wieder ruhig um „IKE“.

Golfküstensurf, ein paar Kilometer weiter, 12.09.2008

In der Zwischenzeit hat sich „IKE“ wieder zu einem ganz normalen tropischen Tiefdrucksystem abgeschwächt, wird von der Westdrift erfasst und zieht nunmehr in Richtung Nordosten auf den Atlantik. Währenddessen vollzieht sich eine Art Metamorphose im Kern von „IKE“. Da er ja nun nicht mehr von Wärme gespeist wird, kühlt sich der Kern soweit ab, dass er von nun an eine ganz normale außertropische Zyklone ist. Aus dem Hurrikan „IKE“ ist der Ex-Hurrikan „Ex-Ike“ geworden, der am 18.9. bei Island auf den westlichen Rand des Hochdruckgebietes „Dieter“ trifft.

"Ex-Ike" vs. "Dieter", 17.09.2008, 00z

„Dieter“ hat sich seit einigen Tagen als klassisches Omega-Hoch über Skandinavien eingenistet und hält überhaupt gar nichts von atlantischen Tiefdrucksystemen. Diese blockt er mit nachhaltigem Erfolg ab und nutzt dabei die vorderseitig einfließende Warmluft, um sich selbst zu verstärken. „Ex-Ike“ soll es hierbei nicht viel anders ergehen, hat aber noch einen Trumpf im Ärmel: Arktische Kaltluft zapft er rückseitig an und kann sich dadurch wieder verstärken. Als kräftiges Islandtief generiert er westliche Winde mit bis zu 50 Knoten, kommt aber nicht mehr weiter nach Osten voran. Für den großen "Showdown" aus Nordsurfersicht ist aber alles nötige vorbereitet. Während an der dänischen Nordküste schwache östliche bis südöstliche Winde vorherrschen, pumpt „Ex-Ike“ an seiner Südflanke ca. 48 Stunden lang Wellen nach Osten. Diese finden den Weg in die nach Norden offene Nordsee, und sollen nach Modellberechnungen als Dünung bei einer Höhe von 0,4m – 0,8m und einer Scheitelperiode von 11 – 12 Sekunden auf die Nordwestküste treffen.

Sollte der Windguru ausnahmsweise mal Recht behalten?

Vorhersagen dieser Art lassen mittlerweile keine Fragen mehr aufkommen. Wer Zeit hat, ist einfach da! Dass ein bekannter Riffspot in Thy Hauptanlaufpunkt vieler einheimischer und zugereister Surfer sein sollte, lässt nicht nur darauf schließen, dass die Sommersaison im September offenbar ihren Höhepunkt hat. Das Wasser hat noch knapp 20°C, und bevor die meisten Leute ihre Bretter für den Winter einmotten oder die kalte Jahreszeit gänzlich in südlichen Gefilden verbringen, soll nochmal ordentlich gesurft werden. Ein Blick über die Düne bestätigt am Freitagmorgen meine Vermutung. Im morgendlichen Dämmerlicht kann ich nicht weniger als 20 Surfer ausmachen, die sich zu solch früher Stunde am Pointbreak in gut 2m hohen, perfekt nach rechts brechenden Wellen tummeln – Tendenz steigend… „Ike´s“ Wellen sind nach einer langen Reise an der Nordseeküste angekommen – und zwar einen Tag zu früh!

Thy, 19.09.2008

Es kommt wirklich nicht allzu häufig vor, dass zu dieser Jahreszeit nahezu alle dänischen Nordseespots, von der Northshore über die Nordwestküste bis weit die Westküste hinunter, surfbare Wellen von Winterswell-Qualität haben. Die meisten Hurrikane schlagen Zugrichtungen ein, die mit viel Glück an den exponierten Atlantikküsten Swell bringen. Häufig kommt es nicht einmal zu einer Hurrikan-Entwicklung. Es muss eben, wie so oft in der Natur, alles zur richtigen Zeit am richtigen Ort zusammenpassen. Diesmal war für alle etwas dabei, und sicherlich machte sich kaum einer Gedanken darüber, dass ein scheinbar harmloses Gewitter vor Westafrika und das Zusammenspiel begünstigender Umstände zur jeweils richtigen Zeit am jeweils richtigen Ort für diese Bedingungen verantwortlich war.


Quellenliste:

http://www.naturgewalten.de/index.html

http://www.wikipedia.org/

http://www.wetterzentrale.de/

http://www.wetter3.de/

http://www.woksat.info

http://afterhurricaneike.blogetery.com/photos-ikes-coming/

http://unsoundsurf.com

Bild von olaf

liebespaar

olaf on Di, 07/03/2012 - 19:47
herrlich tim! schön geschrieben. gefällt mir. irgendwie hatte ich mir gewünscht daß ike und dieter doch noch ein liebespaar werden