Es ist nicht zu leugnen, dass ich momentan so ziemlich am Arsch der Welt wohne und von den einst über 100 Surftagen im Jahr nur noch träumen kann. Für die nächsten Spots mit einigermaßen konstanten Dünungswellen sind bereits mindestens acht Stunden Geduld am Steuer und eine Menge Maut fällig. Falls es dann gerade mal keinen Störfall oder andere Besorgniserreger in dem überaus idyllisch gelegenen Kernkraftwerk nebenan gibt, verbringt die Außenstelle Südwest gerne mal ihre langen Wochenenden an den umliegenden Spots in dieser Ecke – so auch am ersten Maiwochenende.

Die Anreise verlief erstaunlich staufrei und endete gegen kurz nach Mitternacht auf einem strandnahen Wohnmobilstellplatz. Dort parkten bereits zahlreiche Wohnklos, dessen Bewohner offenbar eine geringere Anfahrtsdauer genossen hatten und friedlich schlummerten – zumindest bis ich beim Rangieren aus Versehen den Rückwärtsgang mit der Hupe verwechselte. Gefühlte zwei Stunden später war es bereits wieder hell, als der Wecker mich aus einem erholsamen aber viel zu kurzen Schlaf riss. Ok, wir waren ja nicht zum Spaß hier, daher bestand meine erste Amtshandlung darin, das Gefährt auf den Strandparkplatz mit Seeblick umzuparken. 

Der erste Wellencheck war ernüchternd, denn von der angesagten Dünung mit einer Periode von zwölf Sekunden war nicht viel zu sehen – realistisch betrachtet glich die Wasseroberfläche des westlichen Kanalausganges einem Ententeich. Statt den Surfbrettern schnappten wir uns die Hunde und machten einen ausgedehnten Strandspaziergang entlang der Wasserkannte.

Am Zustand der Wasseroberfläche änderte sich auch in den kommenden Stunden nichts. Zum Glück hatten wir die SUPs dabei, mit denen wir im Anschluss an die Hunderunde eine zweistündige Paddeltour in Richtung Flamanville unternahmen. Dabei wurde uns mal wieder der Kontrast zwischen idyllischer Landschaft und der schonungslosen Atomlobby deutlich. Ein ernsthafter Störfall oder eine Naturkatastrophe a la Fukushima würden wir hier nicht nur hautnah miterleben, es würde auch eine der schönsten Landschaften in ganz Frankreich für lange Zeit zunichtemachen.

Wenn man es jedoch schafft, zumindest temporär die Existenz der beiden omnipräsenten Atomanlagen irgendwie auszublenden, hat man durchaus einen Erholungseffekt und kann sich an den schönen Dingen in dieser Gegend erfreuen. Würden wir nicht einigermaßen schmerzfrei mit dieser Tatsache umgehen, so wäre die Anfahrt zum nächsten Spot mit einigermaßen konstanten Dünungswellen eine noch wesentlich längere. Würden alle Menschen derart schmerzfrei mit dieser Tatsache umgehen, wäre die Gegend beileibe auch wesentlich belebter. Uns blieb kaum eine andere Wahl. Und so erfreuten wir uns der wunderschönen Landschaft, die wir fast für uns alleine hatten.

Zum Ende des Tages wurden wir auch mit dem belohnt, wofür wir eigentlich die weite Anreise unternommen hatten – Linien. Sie reichten zwar nicht ganz bis zum Horizont und die Größe der Wellen war sicherlich ausbaufähig, aber immerhin war der angesagte Swell nun da. Leider hatten wir den Bereitschaftsdienst für den Tag quittiert und waren längst bei der zweiten Flasche Chardonnay angelangt, so dass wir voller Hoffnung auf den nächsten Tag schielten.

Der erste Mai hielt das, was sich ein Surfer von ihm verspricht. Die Periode war über Nacht auf 14 Sekunden angeschwollen und die Wellengröße erreichte ein durchaus surfbares Maß. Die Bretter hatte ich bereits zuhause gewachst, so dass wir uns nur noch die Neoprenpelle überstreifen mussten. Auch wenn die Ausläufer des Golfstroms (und wahrscheinlich auch das Kernkraftwerk in der unmittelbaren Nachbarschaft) das Wasser ganzjährig auf eine zweistellige Temperatur halten, war der Winterneo nach wie vor das Maß der Dinge. Zumindest konnte man die lästigen Handschuhe weglassen.

Die neue Allzweckwaffe von FATUM, ein DUKE mit einer Länge von sieben Fuß, erwies sich als die eierlegende Wollmilchsau, für die sie vom Hersteller angepriesen wurde. Vielen Dank nochmal an Gero für das tolle Brett. 

Bild von tripmaster

zwei Flaschen

tripmaster on Di, 05/09/2017 - 11:57

Chardonnai wären doch eine gute Grundlage für eine entspannte Abendsession in den micro-Lines gewesaen ;=)
Wäre ja auf dem Rückweg aus England fast noch bei euch vorbei gekommen. Cornwall hatte aber dann bei gleicher Periode etwas mehr Größe vorzuweisen....