Algarve 2012/13

 

15. Januar 2013, Nordspanien, 8°C, Regen, Weststurm, die Frisur sitzt…

Bin auf der Rücktour. Seit etwa 24 Stunden mache ich Zwischenstopp an einem idyllischen Ort nicht weit entfernt von Mundaka, und lass die letzten vier Wochen meiner Reise revuepassieren. Die Standheizung läuft seit meiner Ankunft im kühlen Norden Spaniens ununterbrochen. Dreieinhalb Wochen zuvor stand ich schon einmal exakt an diesem verregneten Ort. Damals war das Ziel noch die Algarve mit ihrem sonnigen und milden Winterklima.

Kurze Regenpause in Playa de Laga

Kurz vor Weihnachten 2012… Statt der erhofften sechs Wochen konnte ich meinem Arbeitgeber leider nur lächerliche viereinhalb Wochen für diesen Urlaub aus dem Ärmel leiern. Für einen ausgedehnten Roadtrip an die 3000 Kilometer entfernte Algarve ist das fast schon ein wenig zu wenig, dachte ich auf der ersten Etappe in Richtung Baskenland. Playa de Laga und Playa de Langre eignen sich hervorragend zum An-/Absurfen oder einfach nur zum Abhängen. Den Hauptteil der Reise wollte ich aber im sonnigen Süden verbringen, nicht nur deshalb war der Aufenthalt an der spanischen Nordküste eher von kurzer Dauer.

Der Morgen des 24.12.2012 in Langre

Sei es drum, Heiligabend wurde kurzerhand auf der wie leergefegten Autobahn im spanischen Binnenland verbracht und am späten Abend standesgemäß mit einer Dose Ravioli am Strand von Peniche beschlossen. Es regnete, aber immerhin waren es schon 14°C. Am Abend des 25. Dezember 2012 fuhr ich endlich in den Ort an der Algarve, der ebenso heißt, wie das bekannte portugiesische Bier.

Senior's Paradise 

Vor acht Jahren war ich das letzte Mal hier, und schon damals hatte ich mir geschworen, dass ich die Tour irgendwann einmal mit dem eigenen Auto machen muss. Im Vorfeld wusste ich bereits, dass mir dort viele bekannte Gesichter begegnen würden. Zahlreiche Nordsurfer befanden sich bereits vor Ort oder würden früher oder später dort auftauchen. Einige von ihnen sind, wie ich damals, direkt mit dem Flieger zu einem der nahegelegenen Flughäfen gekommen, sind dort in einen Mietwagen gestiegen, in Sagres und Umgebung wurde die Ferienhütte organisiert und von dort aus die Gegend erkundet. Die Leute mit etwas mehr Zeit im Gepäck sind mit dem Surfmobil angereist, die eigene Hütte quasi direkt vor Ort. Im Grunde sind das auch schon die beiden Möglichkeiten, die sinnvoll sind, um in diese Gegend zu kommen, wenn man nicht bereits dort wohnt.

Silvesternachmittag

Der Rest gestaltet sich definitiv nicht so einfach, wie man denkt. Eines habe ich schnell festgestellt: Wenn man ausgestattet mit einem relativ kleinen Zeitrahmen einen Ort sucht, mit dem Ziel, in möglichst kurzer Zeit möglichst viel in qualitativ hochwertigen Wellen zu surfen, dann ist die Algarve grundsätzlich ein geeigneter Ort - und zwar ein Ort, an dem schnell mal auf besonders hohem Niveau gejammert wird. Die Gründe dafür liegen auf der Hand.

Westküste

Die Algarve bietet mit ihrem von Nordwest über Südwest nach Südost ausgerichteten Küstenverlauf für fast jede Wind- und Wellenkonstellation die von Surfern so sehr geliebten Grundvoraussetzungen mit einer Unmenge an Surfspots. Auflandige Wellen gepaart mit ablandigem Wind findet man eigentlich immer irgendwo. Meteorologisch betrachtet liegt die Algarve in einem Bereich, der gerade im Winter nicht nur stabile, sonnige und windarme Hochdruckwetterlagen bietet, sondern auch häufig wechselhaftes, kühles, nasses und sehr windiges Wetter.

Westküste

Die Wellenbedingungen sind dabei auf dem zweiten Blick alles andere als konstant. Der Atlantik schickt in dieser Jahreszeit zwar nahezu unablässig seine Energiepakete in Form von Swells an die Küste der Algarve. Jedoch können Unterschiede von nur ein paar Grad in der Swellrichtung und wenige Inches in der Swellgröße ausreichen, einen vortags noch perfekt funktionierenden Spot unsurfbar zu machen. Erschwerend hinzu kommt ein Tidenunterschied von zwei bis drei Metern. Kurz gesagt: Die Karten werden jeden Tag komplett neu gemischt.

Irgendwo im Nirgendwo

Meistens ist es der eigene Erwartungsdruck, der einen daran hindern, ruhig zu bleiben und die Sache entspannt vor Ort auszusitzen. Wer die Wahl hat, hat die Qual. Die Algarve ist zwar nicht allzu groß, dennoch liegen viele (auf der Karte scheinbar nahe beieinander liegende) Spots sehr weit abseits und sind mit herkömmlichen Mitteln nur schwer, manchmal gar nicht zu erreichen. Die klassische Spotcheckerrunde kann da schnell zu einer ganztägigen Abenteuertour werden, ohne dass man ein einziges Mal im Wasser ist. Der Gedanke, zur richtigen Zeit am falschen Ort (oder umgekehrt) zu sein, kommt oft. Wenn dann doch mal an einem bestimmten Ort zur richtigen Zeit sämtliche Faktoren perfekt ineinandergreifen und man dennoch nicht ins Wasser geht, liegt es nur noch an einem selber. Ich kenne z.B. niemanden persönlich, der sich Arrifana Right antut, wenn es dort mal richtig gut läuft.

Arrifana Right am 25.12.2012

Von dem Grundgedanken eines reinen Surftrips habe ich mich daher auch schnell verabschiedet. Diese Region hat sehr viel mehr zu bieten als nur Wellen. Nicht nur deswegen sieht man an den entsprechenden Orten eine Menge Kurz- oder Langzeiturlauber, Aussteiger, Hippies in riesigen Wohn-LKWs, Rentner in ebenso riesigen Wohnmobilen, und eben auch Surfer in jeder Alters- und Könnerklasse, die die Algarve lieben und schätzen. Es ist für alle etwas dabei, ob für Kulturfreaks, Landschaftsfetischisten, oder halt Surfer…

Gibt schlimmere Orte für den Nachmittagstee

Aussitzen oder bewegen? Als mich nach drei Tagen Pause und einem Blick ins Internet mal wieder das Surffieber packte, fuhr ich kurzentschlossen an einen Strand meiner Wahl. Viele meiner Weggefährten der letzten Zeit waren bereits wieder ab- oder weitergereist, neue hinzugekommen. Durch unzählige Spotcheckerrunden, Tipps von Freunden oder einfach nur durch Zufall kannte ich bereits viele Orte, die ich bei bestimmten Bedingungen gezielt ansteuern konnte - manche mehr, manche weniger gut zugänglich. Nach einer gefühlten halben Stunde auf einer mit Schlaglöchern übersäten Schotterpiste kam ich irgendwo im Nirgendwo am Strand meiner Wahl an. Die meisten der Wohn-LKWs, in denen zumeist Hippies in Rastalocken und Kellyfamily-Outfit campierten, standen seit meinem letzten Besuch vor einer guten Woche immer noch an derselben Stelle. Ich parkte mein Auto unscheinbar zwischen zwei Zehntonnern und ging ans Wasser. Die Zeit schien hier stillzustehen. Aus der einen Ecke kam Gitarrenmusik und ein süßlicher Duft nach bewusstseinserweiternden Pflanzen, die bereits am frühen Vormittag geraucht wurden. Weit oben aus einer kleinen Höhle in der Felswand vernahm ich die Klänge, die ein Klarinettenspieler seinem Instrument entlockte. An der gegenüberliegenden Felswand in der Bucht wurden diese reflektiert und gaben dem Meeresrauschen eine Melodie. Am Strand praktizierte jemand Jogaübungen. Es war Ebbe und demnach würde sich bei der Swellgröße und -richtung erst in zwei bis drei Stunden ein kleines Zeitfenster für die Surfer auftun. Die meisten Leute vor Ort wussten das und lebten entspannt in den Tag hinein. Auch ich begab mich wieder zurück zu meinem Auto und machte Frühstück - aussitzen!

Landschaftsteiler

Allein in dieser einen Stunde zählte ich nicht weniger als zwanzig Autos, zumeist Mietwagen beladen mit mehreren Leuten und dem entsprechenden Surfgepäck, die auf den Parkplatz rollten und nach wenigen Minuten wieder wegfuhren. Einige kamen kurze Zeit später wieder, blieben oder fuhren wieder weg - ein untrügliches Zeichen, dass es woanders auch nicht besser aussah. Auch ich fand mich in den letzten Wochen, öfter und länger als mir lieb war, in dieser Mühle wieder, hab mich nicht eher zufrieden gegeben, bis ich nicht jede Option, jeden mir bekannten in Frage kommenden Winkel durchgecheckt hatte. Das war in dieser Gegend meistens sehr anstrengend und hatte mit Erholung nicht viel zu tun. Mein Auto und ich wurden bei Erkundungstouren dieser Art durch das zum Teil nur schwer zugängliche Gelände sehr gefordert. Jedes Mal machte sich Ernüchterung breit, wenn ich nach mehreren Kilometern Offroad am Spot meiner Wahl nicht die Bedingungen vorfand, die ich mir erhofft hatte. In meiner Kopfdisko wurde das Lied „Die Karawane zieht weiter“ zum wiederholten Male angestimmt. Doch diesmal waren es die anderen, die weiterzogen und nicht mitbekamen, dass sich wenig später aus dem Closeout-Gemosche für kurze Zeit eine der besten Wellen in dieser Gegend auftat. Meine persönlich beste Session des Urlaubes war das Resultat.

Surfer's Paradise

Dass einige Surfspots der Algarve durchaus anspruchsvoller sein können, als sie von Land aus betrachtet den Anschein erwecken, davon wurde ich nach meiner schlechtesten Session des Urlaubes überzeugt. Ein klassischer Fall von Selbstüberschätzung in Verbindung mit einer klassischen Fehleinschätzung der Bedingungen vor Ort. Manchmal entpuppen sich völlig harmlos aussehende Wellen vor Ort nach etwas veränderter Tide und unter einem etwas anderen Blickwinkel als longboardfressende Monster. Der „walk of shame“ vorbei an mehr oder weniger amüsiert dreinschauenden Zeitgenossen den Hügel hinauf zu meinem Auto wird mir noch lange im Gedächtnis bleiben.

Fatum For Two

Zurück im Baskenland… die Standheizung läuft nach wie vor. Seit mittlerweile 72 Stunden regnet es ununterbrochen und ich hoffe, dass ich der wütenden Biskaya wenigstens noch eine Session abringen kann. Von hier aus sind es nur noch gut zwei Tagesetappen nach Hause ins winterliche Norddeutschland. Eigentlich will ich gar nicht zurück, denn in Deutschland ist es noch viel kälter als hier. Tja, was soll man machen? 

Den Rest der Bilder gibt es hier

Bild von Nili

Klasse!

Nili on Do, 01/24/2013 - 18:48
....schön geschrieben, danke für den Bericht. Ende April bin ich auch dort, freu mich schon. P.S. der Gero kann bestimmt helfen;-)
Bild von jens

So hätt es sein

jens on Mi, 01/23/2013 - 12:59

So hätt es sein sollen...zumindest sind mir die riesigen Spotchecker-Runden erspart geblieben, der Krankenhaus-"Spot" hatte konstante Bedingungen

Bild von boerni

Sehr schön!

boerni on Mo, 01/21/2013 - 21:27

Ich kann mich hier nur Renés Kommentar anschließen.
Die Perspektive des Beobachters unter "Aussitzen und Bewegen" hat mir besonders gefallen.
Ich will da auch gern mal wieder hin. Mit Familie ergibt sich das Rumgechecke soundso... ;D

Bild von badtidude

Sehr schön!

badtidude on Mo, 01/21/2013 - 13:00
Olá Tim, das hast Du sehr schön zusammengefasst zum Thema Algarve in den letzten Wochen! Und Glückwunsch zu Deinem guten Timing am Langzeitcamperspot. Ich hab das dort seit dem ich hier bin noch nicht so gut getroffen. C U, René.
Bild von Flo_SPunkt

An dem Spot deiner besten

Flo_SPunkt on Mo, 01/21/2013 - 12:54
An dem Spot deiner besten Session hatte ich auch schon einige Traumsessions. Das erste Mal genau vor 10 Jahren, damals war das noch so etwas wie ein Semi-Secret-Spot, auf jeden Fall ohne Surfschulen und mit max 10 Mann im Wasser. Kann traumhaft sein dort!
Bild von Maui

Danke für den Bericht !

Maui on Mo, 01/21/2013 - 09:51
Hey Tim, vielen Dank für den klasse Bericht ! So langsam glaube ich, Du hast den Beruf verfehlt. Du solltest Surfspot Berichte professionel schreiben ! Spannend und gleichzeitig mit "viel Gefühl - wie Dieter B. sagen würde" geschrieben ...... keep going.