Ich leide ja zur Zeit unter Dauertorschlusspanik. Wie lange macht mein Körper all den Wassersport noch mit? Ab wann kann ich in welches europäische Land nicht mehr einreisen? Wann finden Herr Günther oder Frau Schwesig wieder, dass ihre Landesleute zwar noch täglich in Großstädte wie Hamburg oder Berlin pendeln / shoppen / feiern dürfen, die Stadtbewohner aber nicht mehr ihre Stadtgrenzen verlassen dürfen, um an den Strand zu fahren?
Für mein Windsurfer-Ich kam dazu: ab wann ist es so kalt, dass man ohne Handschuhe nicht mehr aufs Wasser kann (bedeutet für mich das Ende der Windsurf Saison)? Bei so vielen akuten Fragezeichen war klar, dass ich am Mittwoch an die Küste musste. Ein knackiges Tief über Polen versprach recht ordentlichen Windswell aus Ost und Wind aus Nord-Nordost an der Ostholsteinischen Küste. Eine ziemlich ungewöhnliche Kombination die mich auf einen knackigen Sideshore Wavesailing Abschluss meiner Windsurf-Saison hoffen ließ. Außerdem wollte ich ein paar hübsche Fotos machen.
Also war ich gegen 11 Uhr auf der A1 Richtung Lübeck. Dort fiel mir dann ein, dass ich mein langes Objektiv vergessen hatte. Die Foto-Session strich ich somit aus der ToDo-Liste. Die kompakte musste reichen und wichtiger war sowieso selbst aufs Wasser zu kommen. Dazu hatte ich ein Seebad im nördlichen Teil der Lübecker Bucht ausersehen und als ich dort ankam, war der mickrige Parkplatz in Strandnähe sogar noch fast leer und die Sonne war erschienen.
Beim ersten Blick über den Deich auf den Ostsee zeigten sich ungewöhnlich gut sortierte Falten auf dem Teich. Es gab tatsächlich sowas wie einen Swell mit relevanter Größe und der Wind feuerte side-sideoffshore. Das Wasser stand allerdings etwas hoch und der Shorebreak spielte sich zwischen einer Reihe von recht eng beieinanderstehenden Hindernissen ab. Ich hatte noch Zeit und checkte einen anderen Spot in der Pampa hinterm Deich. Windrichtung war dort gut, aber die Sandbänke waren Scheiße.
Eine weitere Option, die ich kaum auszudenken wagte, war ein Knick in der Küste in der Nähe. Ostswell und ein nach Süden ausgerichteter Küstenabschnitt bei Wind fast genau aus Ost könnte doch das hier Undenkbare generieren? Ich beschloss mir das anzuschauen. Vor Ort traf ich dann tatsächlich auf durch die Küste abgedeckten Side.Offshore Wind und ein paar fast clean aussehende Wellen. Dumerweise weiß ich von meinen Windsurfsessions in der Gegend, dass diese Wellen meistens recht bizarr laufen. Trotzdem sah das surfbar aus. Ich blieb aber unentschlossen und wollte erst noch einmal die Windsurfkarte austesten.
Mein natürliches Ziel wäre jetzt der Leuchtturm gewesen, den man über einen semilegal befahrbaren landwirtschaftlichen Weg erreichte und wo man semilegal auf einer Wiese hinterm Deich parken konnte. Das Riff dort ist glaub ich das einzige weit und breit und der Spot ist für Windsurfer bei Nordost das, was das Weiße Haus bei Nordwest ist. Auf dem Weg dort hin stoppte ich noch an einem Parkplatz, an dem der Nordwind exakt sideshore kam.
Ziemlich nette Wellen liefen hier auf, brachen aber direkt vor einem betonierten Deich, der bereits ein Segel als Opfer gefordert hatte. Ich sprach dort einen Stehsegler Kollegen an und erfuhr, dass der Weg zum Leuchtturm nun klar illegal war und der Zugang zur Wiese versperrt. Somit hatten es die lokalen Behörden geschafft, den wichtigsten Windsurfing Spot der Gegend unzugänglich zu machen (das Weiße Haus ist ja auch nur noch semi gut erreichbar, seit die Küstenstraße Teil eines Luxus Resorts ist). Ich war angepisst und überlegte kurz am Betondeich raus zu gehen. Weiter nördlich wäre der Strandabschnitt besser gewesen, aber da konnte man natürlich wieder nicht parken. War mir dann doch zu blöd und ich beschloss der Sideoffshore Ecke nochmal einen Besuch abzustatten.
Wieder sah es dort surfbar aus oder eben nicht, aber es wurde langsam Zeit dass ich aufs Wasser kam und so gab ich mir einen Ruck, schlüpfte in 5er Neo und Booties und paddelte mit dem Longboard raus. Dank der Seegrasplage zog ich dabei erst einmal einen Schleppanker an Gras hinter mir her bis ich über den Shorebreak war und meine Leash von dem dicken Büschel befreien konnte.
Draußen traf ich auf einen Kollegen der grinsend meinte, dass das ja wie Indo wäre. Ich stimmte ihm zu (obwohl ich noch nie in Indo war und das somit nicht beurteilen konnte) und paddelte weiter gegen die Strömung an, um am Peak zu bleiben. Das Wasser war durch den Offshore sehr glatt und ab und zu rollte tatsächlich so etwas wie ein Set rein. Diese Wellen brachen dann knapp hüfthoch, aber leider mal hier und mal da und mal wieder gar nicht und nur selten mit einer länger laufenden Schulter. Ostsee halt. Aber surfbar und vor allem wegen dem „Entdecker“ Faktor ganz spaßig.
Zurück am Strand war mir erst einmal etwas schwindelig. Covid? Nö, Nordwind, Haube wäre eine gute Idee gewesen trotz noch recht warmen Wassers. Ein Kaffee im Bus brachte meinen Kreislauf wieder ins Lot. Es war jetzt später Nachmittag und noch gut zwei Stunden hell. Nur um sicher zu gehen, fuhr ich dann noch an die allseits bekannte und beliebte Seebrücke Dort bot sich mir das befürchtete Szenario: wirres Geschwabbel mit vielleicht einer von 30 flüssigen Buckeln die tatsächlich zu so etwas wie einer surfbaren Welle wurden.
Dazu geschätzt 60 Leute im Hamsterrad Brücke – reinspringen – an den Strand gespült werden – wieder Brücke und immer so weiter. Viele davon wankten ausgezehrt vom kalten Wind und möglicherweise bereits halb seekrank vom Geschwabbel wie Zombies im steifen Wind die Brücke entlang, viele davon mit viel zu dünnen Brettern untern Arm. Nur ganz wenige hatten tatsächlich ein Grinsen im Gesicht. Ich traf dann noch Börni, der mir berichtete, dass es am Vormittag deutlich besser gewesen war und nun das Wasser bereits zu hoch stand. Zu hohes Wasser scheint in den letzten Jahren das beherrschende Thema hier an der Brücke geworden zu sein. Vielleicht sind es auch die Sandbänke, auf jeden Fall ist es Jahre her, dass ich die Brücke ihrem Hype genügte tun gesehen hatte. Ich beschloss, dass ich nichts verpasste, wenn ich jetzt hier nicht rein ginge und machte mich auf den Nachhauseweg.
Warnung: wenn ihr im Netz Bilder mit den Überschriften „Südschweden“ und „Bornholm“ seht: nicht anschauen!
- tripmaster's blog
- Anmelden oder Registrieren um Kommentare zu schreiben
Es ist ruhig hier! Schreib doch einen Kommentar?
nice nice...
coldwaves on Do, 10/15/2020 - 19:52...Herr Tripmaster.
merci!
tripmaster on Fr, 10/16/2020 - 09:41Merci Herr Coldwaves ;=)
wann gibt es deinen Bericht und Bilder?