Vorletzte Woche begannen die Computer der Forecast Seiten für den Nordatlantik ungewöhnliche Zahlen zu errechnen. In den Grafiken manifestierten sich diese in großen schwarzen (oder dunkellila, je nach Provider) Löchern, die von der Südspitze Grönlands aus Richtung Osten wanderten. Die Wetterstationen und Bojen im Atlantik nordwestlich von Schottland übersetzten die dunklen Farben in Swell-Höhen von über 6 Meter und Perioden bis zu 19 Sekunden. Das sind Werte, die vor allem in der Kombination mit der sehr hohen Periode, im Pazifik die Big Wave Gemeinde kollektiv nervös machen würden.
Im wesentlich kleineren Nordatlantik dürfte es solche Vorhersagen eigentlich nicht geben, denn es fehlt an Fetch (die Fläche, über die der Sturm auf den Ozean einwirkt und die Wellen generiert), um derart viel Wellenenergie zu erzeugen. Das Rätsels Lösung war in diesem Fall ein Orkan, der relativ lang recht stationär zwischen Neufundland und Grönland herumhing und über mehr als einen Tag hinweg Unmengen von Energie in das Meer pumpte.
Erfahrene Nordsee Surfer, die das Erstellen von Wellenprognosen noch in der Frühzeit des Internets erlernt haben, wussten was diese nordatlantische Vorhersage für die Nordseeküsten bedeutete. Es war mehr als genug Wellenenergie vorhanden, um den Westswell im Norden Schottlands um die notwendigen rund 60 Grad abbiegen zu lassen und diesen mit genügend Restenergie an die dänische Westküste zu lenken. Es brauchte nun nur noch den passenden lokalen Wind für ein paar richtig gute Wellen.
Die bereits mehrere Tage im Voraus sich abzeichnende Wellenprognose blieb dann bis kurz vor dem Tag X stabil und die im Detail labile, in der Grundtendenz aber Hoffnung machende lokale Windprognose lieferten genügend Gründe, um für den Anfang der vergangenen Woche sämtliche beruflichen und familiären Verpflichtungen als völlig nachrangig zu klassifizieren und sich im Norden Dänemarks einzufinden (Norwegen wäre natürlich noch besser gewesen, aber dazu hätte es ei paar mehr freie Tage gebraucht).
Der Dienstag entpuppte sich dann als typischer Novembertag mit ekelhaftem Wetter, grau und düster mit teils heftigem Regen, aber bereits gar nicht so schlechter Windrichtung. Süd-Südost bliess es, teilweise recht kräftig aber eben halt side-offshore. Leider brachte der mit der südlichen Windrichtung einhergehende Windswell noch ziemlich viel Unordnung in die ersten Ausläufer des Groundswells aus Nordwest. Nördlich ausgerichtete Küstenabschnitte sind dann die bessere Wahl und hier gab es zum Nachmittag hin erste Anzeichen, dass sich die Hoffnungen erfüllen konnten.
Der Swell war noch sehr tieffrequent, mit knapp 20 Sekunden, was sehr lange Pausen von anfangs noch um die 15 Minuten zwischen den brauchbaren Sets bedeutete. Sehr langes rumsitzen bei jahreszeittypischer Kälte auf faltenlosem Teich bedeutete das, bis sich endlich wieder ein Set von bis zu schulterhohen Wellen am Horizont abzeichnete und denjenigen, die die passende Position im Lineup gehalten hatten, erste längere Rides bescherte. Die Frequenz der Sets nahm dann zum viel zu frühen Tagesende um halb fünf langsam zu und die letzten Wellen wurden weit nach Sonnenuntergang im Licht des Vollmondes gesurft.
Die Windprognose für den Mittwoch war nun perfekt offshore und das einzige verbleibende Risiko war, dass sich der Swell während der viel zu langen Nacht austoben würde und mit Sonnenaufgang die Pracht schon vorüber sein würde. Mittwochmorgen wachte ich fast zu spät, aber noch rechtzeitig zum Sonnenaufgang auf. Es war eiskalt bei wolkenlosem Himmel und leichtem Ostwind.
Noch nicht richtig wach fuhr ich sofort zum Parkplatz an den Dünen und erklomm die sandigen Hügel. Kaum oben angekommen explodierte eine ziemlich große und sehr hohle Welle an der Sandbank genau vor mir. Noch war ich mir nicht sicher, b meine Pupillen richtig fokussiert waren. Licht und Wasserfarbe und Temperaturen passten zu Jahreszeit und geografischer Position. Aber die Welle gerade eben?
Es dauerte eine Zeitlang bis das nächste Set anrollte und sich mit atlantischer Wucht auf den Sandbänken entlud, doch dann war ich mir sicher, dass meine Augen richtig funktionierten. Die Setwellen, die der Logik der hohen Swellperiode folgend in großen Abständen von bis zu 15 Minuten an die Küste rauschten, hätten einem guten Wintertag an der Coté Basque alle Ehre gemacht. Für die Nordsee waren sie absolut exzeptionell.
Am Riff waren bereits ein paar wenige Surfer draußen, doch sie bekamen kaum Wellen ab und waren vorrangig mit paddeln beschäftigt. Schnell zeichnete sich ab, dass das sonst so zuverlässige Riff mit dem Swell überfordert war. Offensichtlich liegt südlich des Riffs eine sonst unbemerkte Untiefe, die von der immensen Energie des Swells zum Leben erweckt einen zweiten Peak kreierte. Der aber störte die Welle am Riff indem er ihr entweder das Wasser an der Schulter wegsaugte oder sich ihr mit einem zweiten Peak direkt daneben in den Weg stellte.
Nix war es mit der erhofften langlaufenden Welle nach steilem Take-Off am üblichen Ort. Stattdessen waren die Peaks stark am shiften und spielten Katz und Maus mit den 3 Jungs da draußen. Die wenigen exquisit brechenden Wellen verpassten sie allesamt, weil sie entweder nicht richtig positioniert waren oder aber nicht in die Welle reinkamen. Weiter südlich sah es besser, aber auch sehr respekteinflößend aus. Die Peaks brachen konstanter aber auch oft als mächtige Tubes.
Die kleine Crew am Riff konnte dennoch nicht widerstehen und paddelte einer nach dem anderen rüber. Sie schafften ein paar Rides auf semi-guten Wellen aber kamen nicht rein in die absoluten Bomben. Zu viel Wasser war in Bewegung und statt der ortsüblichen Bretter wären wohl Guethary-typische Semi-Guns die bessere Wahl gewesen. Tatsächlich war es ein Local auf einem voluminöseren Single-Fin, der die besten Wellen abbekam.
Zu viel Volumen war aber auch nicht hilfreich, wie der eine SUP-ler erkennen musste, der zwar besser in die Wellen reinkam, dann aber sofort mit der Geschwindigkeit der brechenden Welle überfordert war und regelmäßig nicht einmal den Bottom Turn überstand, weil sich der Tanker nicht schnell genug um die Kurve treten ließ.
So leerte sich dann – inzwischen unter strahlend blauem Himmel – am späten Vormittag der sowieso extrem dünn besetzte Lineup und die sensationellen Wellen brachen ungesurft. Mit dem letzten der vom Wasser kam unterhielt ich mich noch kurz und wurde in meiner Einschätzung bestätigt. Zuviel Wasser in Bewegung, Brett zu klein und einfach auch zu wenig Erfahrung in derart kräftigen Wellen waren das Problem.
Aber es gab ja noch Alternativen und so fuhr ich den kurzen Weg rüber nach Cold Hawaii City. Auch hier wurde ich mit unglaublichen Szenerien überrascht. In der Mitte der Bucht brach hin und wieder ein selten gesehener Peak in einer ewig laufenden linken und vorne am Muschelriff spielten sich Szenen ab, die endlich einmal dem „Hawaii“ im Markennamen der Gegend alle Ehre machten.
Setwellen brachen in doppelt kopfhohen A-Frames mit einer schnellen und langen Rechten und einer etwas langsameren aber fast genauso weit laufenden Linken. 100m Rides waren drin, mit der ein oder anderen Tube und die recht große Meute im Lineup hatte offensichtlich die passenden Bretter dazu.
Eine Handvoll Longboarder war draußen, darunter Martin ten Hoeven, der seinen über 1,90m langen Körper mehrfach ohne allzu große Verrenkungen in Semi-Tubes falten konnte. Dazu die Créme de la Créme der dänischen SUP Szene. Von denen hatte Casper Steinfath den Forecast wohl falsch interpretiert, denn er war mit seinem Race SUP gekommen für eine Trainingssession. Nun donnerte er mit dem Tanker in teils bizarren Kursen die Wellen entlang.
Zwischen all den großen Planken waren nur sehr wenige Shortboard Surfer mit draußen – die lokalen Hot Shots waren wohl an einem anderen Break – und schafften es nur in sehr wenige Wellen zu kommen. Auch ihnen machte die immense Wellenenergie zu schaffen und nur ganz wenige kamen überhaupt rein in die Welle und schafften es danach nur in den seltensten Fällen mit deren Geschwindigkeit mitzuhalten. Dafür hatten sie es bei den vereinzelten Aufräumer-Sets etwas einfacher. Ein SUP lässt sich halt nur schwer duckdiven….
Es blieb dann den ganzen – viel zu kurzen – Tag grandios gut mit weiterhin vereinzelten sensationellen Wellen. Dass am Nachmittag dann die Sonne verschwand und der Himmel in das für die Jahreszeit typischen Grau wechselte, störte niemanden. Arbeitende Menschen erschienen nun und hielten am Strand kurz ungläubig inne, wenn gerade mal wieder eines diese nicht Nordsee-typischen Sets auf das Riff lief, bevor sie im letzten Licht des Tages noch schnell rauspaddelten, um noch einen kleinen Rest dieses außergewöhnlichen Swells mitzunehmen.
Ich selber versuche ja seit über 10 Jahren derartige außergewöhnlichen Tage mitzunehmen und habe dabei schon den ein oder anderen superben Swell gesehen. Aber so etwas wie an diesem Mittwoch Mitte November habe ich noch nicht erlebt (und alle anderen Locals, mit denen ich später darüber gesprochen habe auch noch nicht). Die Maßstäbe für Epic Days an diesem Teil der Nordsee haben sich definitiv und massiv verschoben. Ich fürchte nur, dass wir auf den nächsten vergleichbaren Tag gute weitere 10 Jahre warten müssen. Aber es fühlte sich gut an, das erlebt zu haben.
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Es passiert ...
dontblameme on Mo, 01/06/2020 - 16:02neues Jahrzehnt ;=)
tripmaster on Mo, 01/13/2020 - 14:17war aber wohl nicht so clean (und sonnig) wie im November ;=)
Zum Glück...
coldwaves on Fr, 12/20/2019 - 13:20...beginnt ja bald ein neues Jahrzehnt ;-)
Und damit die Chance auf den nächsten Swell.