In der Nacht wachte ich mehrfach auf, weil mir etwas aus der Nase lief. Salzwasser konnte es nicht sein und so befürchtete ich schlechtes. Und tatsächlich begrüßte mich der nächste Tag mit dickem Kopf und allgemeiner Schlappheit. Super. Da hatte ich mir wohl genau zum richtigen Zeitpunkt was eingefangen.
Da draußen die Sonne schien (und die Lebensmittelvorräte in der Gemeinschaftsküche maßgeblich aus ein paar Teebeuteln und einem Instant-Kaffee Pulver bestanden) machte ich mich gleich auf den Weg runter an den Hafen. Der strahlende Sonnenschein kam jahreszeitentypisch mit eisigen Temperaturen einher. Die Fahnen am Kirchturm ließen auf einen mittelstarken Nordwind schließen.
Gespannt passierte ich die letzten Hafengebäude und ließ auf den breiten Sandstrand (der Wasserstand war recht niedrig). Der erste Blick auf die Wellen von dort sah gut aus. Näher dran erkannte ich dann, dass es deutlich überkopfhoch war und der Wind die passende Richtung hatte. Die Wellen waren ziemlich gut und das sogar in einem Strandbereich, der bei nördlichen Swell Richtungen sonst nur winzige Peeler abbekommt.
Ich lief weiter zum Spa und von dort hinauf auf die Prinz Albert Promenade. Von dort hat man einen grandiosen Blick über die Bucht. Amtlicher Swell bog um die Halbinsel, sortierte sich im Lee des Hügelrückens ganz ordentlich und brachte diverse Sandbänke zum Laufen. Weiter rechts waren die Wellen ziemlich deftig mit großen, weit draußen brechenden Sets dazwischen. Im geschützten Teil der bucht vor der Hafeneinfahrt liefen schöne immer noch mannshohe Rechte. Dazu keine Wolke am Himmel. Ein perfekter Tag zum Surfen.
Leider nicht für mich. Schon der Weg hoch zur Terrasse – die Cable Cars, die dafür da sind, geschwächte Menschen wieder den Berg rauf zu bringen, waren noch nicht in Betrieb – hatte mich sämtlicher Energiereserven beraubt. Was auch immer ich mir für einen Erreger eigefangen hatte, er schien mein Immunsystem ordentlich zu beschäftigen. Ich lief dann erst einmal über die Brücke rüber zum Grand Hotel, bei dem eine weitere Alte Bergstation der Cable Cars war, die in ein Café umgewandelt worden ist. Scones und ein Kaffee gaben mir wieder etwas Energie, aber ich machte mir keine Illusionen. Heute würde ich nicht ins Wasser kommen. Denn trotz der cleanen Wellen und des schönen Sonnenscheins war klar, dass die Kombination aus Kraft und Größe der Wellen sowie der Lufttemperaturen knapp über dem Gefrierpunkt heute eine Fitness verlangen würden, die ich zumindest jetzt nicht hatte.
So wanderte ich noch ein bisschen durch Stadt und Hafen und machte mich gegen Mittag auf den Weg für weitere Erkundungen. An der bucht, die nach dem Typen in den grünen Strumpfhosen benannte ist, machte ich einen ersten Halt. Von oben sah es nach ordentlichem Swell aus, aber unten im Ort stellte sich heraus, dass nichts Brauchbares bis an die Riffe in der Bucht herankam. Entweder passte die Tide wieder nicht oder die Swell Richtung oder beides. Die Breaks in dieser Bucht sind sehr speziell und wann genau sie laufen habe ich bisher nicht herausfinden können.
Knapp zwei Stunden Tageslicht hatte ich noch. Nicht mehr allzu viel Zeit. Ich beschloss noch nach Whitby zu fahren um zu sehen, was der Swell dort so hervorzauberte. Für einen ersten check steuerte ich die Klosterruine oberhalb der Stadt an. Von dort hat man einen guten Überblich auf die Stadt, den langen Sandstrand, auf die Riffe an der Steilküste und mit einem Fernglas sollte auch erkennbar sein, ob der Point im Schutz der Steilküste am Nordende der Bucht lief, der bei der aktuellen Windrichtung die besten Chancen auf brauchbare Wellen verhieß. Außerdem ist die Klosterruine sehr spektakulär. Das bezahlt man üblicherweise mit saftigen Parkgebühren am Besucherparkplatz, aber auch dieser war um diese Jahreszeit gratis.
So eilte ich dann vor zur Klippenkante, wo man über den alten Friedhof hinweg den ersten Blick auf´s Wasser bekommt. Schon auf dem Weg dahin blies mir der Wind kräftig ins Gesicht. Kein gutes Zeichen. Und tatsächlich zeigte sich dann unten eine ziemlich stark aufgewühlte See. Der Point im Norden lag im Dunst und um den genauer unter die Lupe zu nehmen, hätte ich noch eine gute halbe Stunde fahren müssen. Ich beschloss umzukehren und noch einmal einen Blick auf DEN Point zu werfen.
Kurz bevor die Sonne ganz am Horizont verschwand kam ich dort an. Ein eisiger Wind blies mich auf dem Weg zur Klippenkante fast um, doch von der Kante aus bot sich ein spannender Blick. Die Tide passte offensichtlich und mächtige Wellen schälten sich um den Point. Dieses Mal schaffte es der Point, ihnen brauchbare Form zu verpassen, trotz des heftigen Sideshore Winds an der äußeren Riffkante, an der die Sets anfingen zu brechen. Bei genauerem Hinschauen erkannte ich vier kleine Punkte im Wasser, die sich als Surfer herausstellten. Ich holte schnell meine große Linse und stieg dann den steilen Pfad hinunter, um einen besseren Blick auf das Geschehen zu bekommen.
Die Wellen waren ziemlich amtlich und leider nicht ganz sauber. Größere Sets räumten immer wieder den Lineup auf und die vier da draußen hatten ordentlich zu tun, um die Position zu finden und zu halten. Das waren die größten surfbaren Wellen, die ich in der Nordsee bisher gesehen habe, mit doppelt kopfhohen Sets. Die Jungs hatten gut zu kämpfen da draußen und nur ganz wenige Wellen konnten an gestartet und geritten werden. Trotzdem blieben die vier draußen bis das Licht ganz weg war. Respekt! Ich erfror schon fast da oben mein Fotografieren und Kerle da unten vergnügten sich bei eisigem Wind und deftigsten Wellen bis das Licht ausging. Englische Nordseesurfer sind doch noch eine Nummer härter als alles, was sich an unseren Küsten so im Teich tümmelt.
Sonntagmorgen war es vorbei mit der schönen Wintersonne. Regen, grauer Himmel und allgemein nasskaltes Mistwetter standen im Angebot. Es gab aber auch einen kaum spürbaren Offshore und laut Vorhersage sollte auch noch ein ganz netter Nordswell laufen. Ich lief dann wieder zu dem Café an der Brücke zum Frühstücken und Wellen checken. In die South Bay liefen bei Windstille kleine aber ganz nett sortierte Lines rein. Ich war noch weit davon entfernt, fit zu sein, musste aber jetzt endlich mal ins Wasser. Die harmlos brechenden und einfach zu erreichenden Longboard-Wellen schienen mir für die Erkältungs-Reha genau das Richtige zu sein.
Nach einem diesmal ziemlich dürftigen Frühstück im Café – allerdings mit grandioser Aussicht – lief ich zurück zum Hostel, schlüpfte in den Neo und lief die paar Meter zurück an den Strand. Die Session war dann ganz nett, aber der Bug zog mich ziemlich schnell wieder runter, so dass ich nach ein paar wenigen Wellen wieder aufhören musste. Ich tröstete mich damit, dass die Wellen jetzt nicht so grandios waren und am nächsten Tag nochmal mehr Swell kommen sollte.
Ich ging mir dann noch ein paar Lebensmittel in der Stadt besorgen und lief danach noch einmal auf den Berg, um zu sehen, was die North Bay so machte. Die machte sich dann ziemlich gut mit deutlich besseren Wellen. Allerdings war die Tide schon sehr niedrig, was bedeutete, dass der Spaß bald vorbei sein würde. Meine Hoffnung lag somit auf dem nächsten Tag und ich nahm mir vor, dann gleich in der North Bay surfen zu gehen.
Montagmorgen setzte ich diesen Vorsatz dann gleich um. Genauer gesagt konnte ich dank der Einkäufe vom Vortag endlich vernünftig frühstücken und lief zur Verdauung für einen Wellen Check auf den Hügel. Swell war dann schon gut erkennbar, allerdings war die Tide nun noch deutlich zu hoch. Gute zwei Stunden würde ich noch warten müssen. Um die Zeit totzuschlagen beschloss ich noch einmal an den Point zu fahren. Ich erwartete nicht, dass er laufen würde und nahm daher kein Brett mit.
Das stellte sich dann allerdings als Fehler heraus. Denn an der Klippenkante sah ich endlich das, worauf ich immer gewartet hatte: Aus dem verwischten Grau von Nordsee und Regen tauchten saubere Lines auf, die sich perfekt um den Point schälten. Der Swell war offensichtlich kräftig genug und der vorhergesagte Südwind blies noch aus Ost, was ich unter anderem daran merkte, dass die Rückseite meiner Jeans schnell völlig durchnässt war. Ich begann zu rechnen. Zurückfahren und Brett holen, in die Gummimontur zu schlüpfen und runter an den Point laufen würde ich nicht unter einer Stunde schaffen. Die Tide war noch o.k. aber rasch am Abnehmen. Es würde nicht reichen. So schaute ich mir die Pracht noch eine gute halbe Stunde lang an bis der abnehmende Wasserstand anfing die Welle verschwinden zu lassen.
Die Rückfahrt nutze ich bei voll aufgedrehter Heizung um wieder etwas warm zu werden. Ich fuhr direkt an die North Bay, machte einen 5 Minuten Wellen Check, der gut ausfiel und fuhr gleich zurück zum Hostel. Dort zog ich die Neoprenmontur an und lief mit Brett unter dem Arm zum Aufwärmen über den Bergrücken in die North Bay. Am Strand angekommen wartete ich bis ein Set durch war und paddelte dann trockenen Haares, besser gesagt trockener Haube, die paar Meter zum Lineup an den äußeren Peak. Der lief zwar nur alle 10 bis 15 Minuten, aber ich musste ihn mir nur mit zwei anderen Longboardern teilen.
Es kam dann auch schnell ein Set und ich paddelte die erste Welle davon an. Leider war ich etwas zu tief oder etwas zu langsam beim Aufstehen, auf jeden Fall verkackte ich den Drop. Beim Abtauchen spürte ich noch kurz einen Zug an der Leash und dann keinen Zug mehr. Ich konnte es nicht glauben. Die Welle war zwar kopfhoch aber sie bricht soft und ist eigentlich viel zu schwach, um einer Leash den Garaus zu machen. Ich ließ mich dann noch von den beiden nachfolgenden Setwellen durchspülen und schwamm dann langsam zurück an den Strand, wo ich mein Brett wieder einsammelte. Bei genauerer Untersuchung der Leash merkte ich dann, dass sie schon sehr altersschwach war. Nun war ich ganz froh, dass ich damit nicht am Point raus paddeln konnte.
Das tröstete mich aber nur sehr wenig, denn meine Session wäre nun gelaufen. Da ich im Gummianzug hergelaufen war, hatte ich nicht einmal Geld dabei, um mir im nahen surf Shop eine neue Leash besorgen zu können. Für einen Moment überlegte ich ohne Leash wieder raus zu paddeln, aber das schien mir bei den niedrigen Lust- und Wassertemperaturen und meinem immer noch angeschlagenen Gesundheitszustand zu riskant. Also machte ich mich frustriert auf den Rückweg.
Beim Überqueren der Straße traf ich dann aber meinen Retter, wie schon bei der Brettleih Thematik Mike, meinen Vermieter. Es hatte seine Session in der Bucht gerade beendet und lieh mir selbstverständlich seine Leash. Meine Session und damit mein Tag waren so gerettet und ich konnte endlich noch ein paar nette Wellen abgreifen.
Mit verschwinden des Tagelichts – von Sonnenuntergang konnte man eher nicht reden mangels Sonne – packte ich meine Sachen und machte mich auf den Rückweg nach Manchester. Dort übernachtete ich in einem schäbigen Flughafenhotel um am nächsten Morgen pünktlich zu meinem 7:30 Flug am Airport zu sein. Gegen Mittag war ich dann wieder in Hamburg und konnte beginnen liegen gebliebene Arbeit wegzuarbeiten.
Die vier vollen Tage vor Ort hatten mich zwei Arbeitstage und rund 400 Euro für Flug, Mietwagen und Unterkunft gekostet. Das ist etwas mehr als doppelt so viel wie für einen Dänemark Trip und exakt so viel wie die Fährkosten und Brückenmaut für einen Ausflug nach Schweden. Es lohnt sich also, gerade im Winter ein Auge auf die Wellenvorhersagen auf der anderen Seite des Teichs zu werfen. Was bleibt sind die unappetitlichen Entwicklungen in England. Aber es sind noch ein paar vernünftige und vor allem freundliche Einheimische da drüben (o.k. Mike kommt aus Südafrika aber er lebt schon ewig in Yorkshire). Und die sollte man ruhig weiter moralisch unterstützen…..
Mehr Bilder gibt es hier zu sehen >>>
Zum Teil 1 der Story geht es hier lang.
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