Anfang September hatte ich ganze 4 Surftage für das laufende Jahr auf der Uhr. Pandemiebedingte Reisebeschränkungen, die fast völlige Abwesenheit von Nordwest und Ostwinden an den lokalen Gewässern und eine generelle Überfüllung der erreichbaren Küstenregionen sowie etwas zu viel Arbeit waren schuld an dieser Zeit der Dürre. Selbst Windsurfen als Ersatzdroge konnte ich nur in homöopathischen Dosen zu mir nehmen wegen der bizarren Wind (Nicht-)Aktivität. Wäre nicht das Mountainbiken als Plan C zur Verfügung gestanden, würde ich jetzt wohl aus der Klapsmühle berichten.

Doch mit dem zweiten Schuss in den Oberarm Ende August, zunehmend durchlässigerer Grenzen und langsam abnehmendem Arbeitspensum taten sich Silberstreifen am Surfer Horizont auf. Dazu stand mit dem September der erste Herbstmonat vor der Tür und damit die Hoffnung auf ein paar mehr Falten an den heimischen Gewässern. Ich fing wieder an Wind- und Wellenvorhersagen und das allgemeine Wettergeschehen auf dem Nordatlantik genauer zu verfolgen mit einem wachen Auge auf die gerade begonnene Hurrikan Saison.

Ein klassisches September Szenario für die Küsten auf dieser Seite der Nordsee ist ja, dass einer von diesen Hurrikans es weit genug in den Nordatlantik rauf schafft, um bei Grönland einen ordentlichen Groundswell anzuschieben während an der noch mit sehr milden Wassertemperaturen gesegneten dänischen Nordseeküste ein hübsches Ostwindchen fächelt (unser Wettermann Tim könnte das sicher besser erklären, aber der ist ja zurzeit mit Standup Paddeln auf Binnengewässern ausgelastet).

Nun, Anfang September gab es dann bereits so ein Szenario, als Hurrikan Larry knapp 4 Wochen nach seiner Entstehung an der afrikanischen Westküste den Norden des Atlantiks erreichte. Und zwar ziemlich weit oben im Norden, wo er dann auch noch eine Zeitlang bei Grönland hängen blieb und gut zwei Tage lang Richtung Osten blies. Der resultierende Swell war zwar nicht immens groß, aber mit extrem niedrigem Puls unterwegs. Die Vorhersagen für die dänische Nordseeküste versprachen einen knappen Meter mit sehr ungewöhnlichen 16 bis 17 Sekunden Periode.

Als sich dann noch abzeichnete, dass der Wind vor Ort aus östlichen Richtungen blasen sollte, fiel ich in längst überwunden geglaubte Verhaltensweisen zurück. Ich begann frühzeitig geschäftliche Termine zu verschieben – das Groundswell Happening sollte natürlich in der Mitte der Arbeitswoche stattfinden – und checkte im 4-Stunden Takt Wind- und Wellenvorhersagen. Ein Zweitagesausflug für Mittwoch und Donnerstag war geplant. Als dann klar würde, dass die ersten Swell Ausläufer bereits Dienstagnachmittag den avisierten Küstenabschnitt erreichen würden, zog ich die Abfahrt auf Dienstagmittag vor in der Hoffnung noch so rechtzeitig am Teich anzukommen, dass noch eine kleine Sunset Session drin wäre.

Zu meiner großen Freude waren die Straßen weitestgehend frei und ich erreichte gegen 17 Uhr die Südmole. Hier war es sonnig und noch ziemlich warm und der Wind war gerade am Einschlafen und Drehen. Beim Check von der Düne bestätigte sich, dass der Groundswell angekommen war. Allerdings war er hier so klein, dass er auch mit dem Longboard kaum surfbar erschien. Ich wusste, was zu tun war und schmiss die Karre an für eine weitere halbe Stunde Fahrt gen Norden. Hier war es zwar auch klein, aber die Setwellen brachen den entscheidenden Tick höher und ich musste nicht weiter überlegen.

Draußen im Lineup freute ich mich über die angenehm warme See und Luft und das schöne Licht und den bereits am Horizont hängenden Mond, musste dann aber wieder einmal feststellen, dass kleine Wellen die gefährlichsten sind. Bei einem dank des noch etwas schwabbeligen Charakter der Wellen vergeigten Takeoff schaffte ich es, mir die Brettkante mit so viel Wucht in die Wade zu rammen, dass es sich anfühlte, als ob ein ganzes Muskelbündel gerissen wäre. Die folgenden Wellen musste ich dann deutlich gehandicapt – ich konnte das hintere Bein kaum belasten – surfen, was aber dank der noch geringen Größe und Power der Wellen immerhin noch für ein paar längeren cruisy Rides reichte. Kurz bevor die Sonne verschwand, hörte ich dann auf und schleppte mich hinkend den Strand entlang zum Bus und machte mir mit sehr hübscher Aussicht ein Bier auf und hoffe inständig, dass sich über Nacht meine Wade so weit erholen würde, dass ich den für Mittwoch vorhergesagten Swell ungehindert abgreifen konnte.

Mittwochmorgen war es dann vorbei mit Sommer Sonne, Wärme und schönem Licht, aber dafür war der Swell da. Da die Königin der Küste weiterhin im Dornröschen Schlaf liegt ging direkt vor meinem Bus eher wenig, aber ein paar Molen weiter weg schien das Gras deutlich grüner zu sein. Nach einem kurzen Frühstück machte ich mich dann dort hin auf den Weg. Was ich dann oben auf der Düne direkt vor mir sah, schien ziemlich gut zu sein. Wie erwartet gab es wegen der hohen Swell Periode lange Pausen zwischen den Sets. Aber wenn die reinliefen, machten sie an der Spitze der Mole und an der Sandbank zwischen den Molen ziemlich schöne Sachen. Ein paar Molen weiter nördlich schien es ebenfalls eine gute Sandkante zu geben, aber ich beschloss nicht weiter rumzufahren, sondern gleich hier rauszugehen.

Da mir die Sandbank in der Mitte konstanter zu sein schien, paddelte ich erst einmal da hin und erreichte sie genau in dem Moment, als die kleine Crew, die dort bisher draußen war, zurück an Land ging. Die Peaks waren etwas am shiften hier, und die nach draußen ziehende Strömung machte die Wellen manchmal etwas schwer berechenbar. Da ich allein im Lineup war, konnte ich mir aber meine Wellen aussuchen und hatte so bald ein paar hübsche Rides. Mit der wechselnden Tide war dann aber bald der Zauber hier vorbei und so paddelte ich rüber zur Mole, die nun besser Leif.

Eine knappe Handvoll an Kollegen beschäftigte sich mit den kleineren, aber perfekt laufenden Wellen an der Inside. Ich baute auf die größeren Sets und platzierte mich weiter außen. Natürlich musste ich dort recht lange warten bis endlich das gewünschte Set am Horizont erschien. Als ich bemerkte dass auch ich für dieses Set zu tief saß, paddelte ich schnell ein Stück weiter raus, schaffte es ungewöhnlich agil das Longboard schnell genug zu drehen und die Welle in einer kritischen aber potentiell perfekten Position anzupaddeln. Schon fokussiert auf die schnelle erste Sektion war ich fast auf den Füßen als ich feststellte, dass zwei der Kollegen genau vor mir im Wasser vor der Welle lagen. Im letzten Moment brach ich dann den Take Off ab und versuchte die unausweichliche Kollision mit dem Kollegen vor mir wenigstens abzumildern. Das gelang, keiner von uns wurde verletz und die Bretter nahmen auch keinen Schaden, aber ich war etwas angepisst über die verpasste Welle, die mit Sicherheit die Welle meines Tages geworden wäre.

Der Vibe im Lineup war allerdings viel zu gut, um sich lange zu ärgern, und so paddelte ich wieder raus an meine Position in der Hoffnung, dass bald noch so ein Teil rein rollen würde. Leider folge dann eine sehr lange Set Pause. Grauer Himmel und zunehmend starker Wind ließen mich dann schnell stark auskühlen. Ich begann dann im Kreis zu paddeln, um mich etwas aufzuwärmen, aber das erwünschte Set kam einfach nicht, so dass ich dann irgendwann zähneklappernd aufhören musste.

Auf dem Weg die Düne hoch zum Bus wurde mir etwas wärmer, aber es brauchte erst einen heißen Kaffee, bevor ich mir den Neo ausziehen konnte. Vielleicht sollte ich mir nach fünf Jahren nun doch mal ein neueres Modell zulegen. In trockenen Klamotten und halbwegs aufgewärmt ging ich dann wieder vor zur Düne, um ein paar Fotos zu machen. Der Offshore hatte nochmals zugelegt und als ich an der Dünenkante stand, begann es zu regnen. Doch unten war der Peak des Swells angekommen und kreierte in Verbindung mit dem Offshore ein paar ziemlich ungewöhnliche Wellen für diese Küste. Deren Anblick ließ mich dann etwas zu lange da oben stehen, mit der Folge, dass ich bis auf die Unterhose durchnässt wurde.

Da ich keine Ersatzklamotten dabeihatte, war die beste Option wieder in den nassen Neo zu steigen und für eine zweite Session rauszupaddeln. Leider zwang mich die Kombination von langen Setpausen und kaltem Wind wieder früher vom Wasser als geplant, aber es war sowieso bereits früher Abend. Es blieb aber das Problem der nassen Klamotten und so entschloss ich mich, nach Lemvig zu fahren und dort ein Restaurant aufzusuchen. Auf der Fahrt dahin hielt ich mich sklavisch an die lokale Geschwindigkeitsbegrenzung, um bei voll aufgedrehter Heizung und Gebläse mich und meine Klamotten möglichst trocken und warm zu bekommen. Zu meinem großen Glück wurde ich in einem Restaurant am Hafen dann trotz meines etwas schmuddelig-feuchten Äußeren problemlos bedient mit einem landestypisch üppigen Burger und einem Bierchen. Aufgewärmt und gestärkt ging es dann zurück an meinen Übernachtungsplatz an der Küste und früh ins Bett.

Donnerstagmorgen war der Himmel immer noch grau, aber der offshore fächelte nur noch ganz leicht und es war deutlich wärmer. Wie erhofft lief noch Restswell, mit weniger Periode aber noch ganz netter Größe. Ich gönnte mir wieder nur ein rudimentäres Frühstück (Kaffee) und machte mich wieder auf den Weg zur Mole von gestern. Dank der kürzeren Periode liefen die Wellen nun deutlich regelmäßiger rein und waren bis zu schulterhoch. Die 5 Kolleg:innen von gestern waren wieder draußen und ich gesellte mich schnell zu ihnen. Die Tide war bereits relativ hoch und die Wellen hatten etwas weniger Wums, liefen aber wie mit der Schnur gezogen entlang der Sandbankkante. Mit dem Longboard waren sie sehr nett zu surfen und ich hatte eine schöne Session, bis das Wasser zu hoch stand.

Der weitere Plan war nun zu warten, bis das Wasser wieder tief genug war, aber leider nahm in der Zeit auch der Swell ab und der Wind drehte auf side-offshore mit zunehmender Stärke. Ich beschloss mich auf den Rückweg zu machen. Sicherheitshalber legte ich an der südlichen Mole noch einmal einen Stopp ein für den Fall dass doch noch was lief, aber es war weitestgehend flach und nicht wert raus zu paddeln. Als ich dann den Bus wieder anschmiss, ging die Batteriekontrollleuchte nicht wieder aus. Das kannte ich. Motor aus machen und neu starten. Doch diesmal half es nicht und ich musste mich mit dem Gedanken anfreunden, dass die Lichtmaschine nicht mehr mitspielte. Zwei Stunden Tageslicht hatte ich noch und ich wollte in der Zeit wenigstens noch bis zur deutschen Grenze kommen. Das schaffte ich, aber rund 40 Kilometer nach der Grenze war mein Licht nur noch so funzelig, dass mir die Weiterfahrt auf der belebten Autobahn zu riskant erschien. Also legte ich eine zusätzliche ungeplante Übernachtung auf einer Raststätte ein.

Freitag stand ich mit dem ersten Tageslicht auf und startete den Motor. Die Batterie war glücklicherweise noch stark genug, um den Diesel in Bewegung zu setzen und so schaffte ich es gegen 9 Uhr im Büro zu sein. Trotz der Aussicht schon wieder Geld in die alte Karre investieren zu müssen, war ich gut gelaunt. Ich war ja schon weitestgehend entwöhnt vom Surfen und auf dem besten Weg ein Radfahrer zu werden. Dank Larry hatte ich hatte ich nun wiederentdeckt, wie viel Spaß Surfen doch bringt. Vollkommen in alte Verhaltensmuster (Surfen ist Motorsport) werde ich allerdings nicht zurückfallen. Mangels alternativer Antriebe (auf Nachfrage bei IVECO gibt es in absehbarer Zeit nur Erdgas Antriebe als Alternative für Diesel in der Fahrzeuggröße) werde ich wohl weniger oft aber dafür länger losfahren (ein Flugzeug habe ich seit gut 5 Jahren nicht mehr betreten). Ausnahmen werde ich mir nur genehmigen, wenn wieder eine ähnlich exquisite Swell und Wind Kombo wie bei Larry zu erwarten ist.

Bild von coldwaves

Man spürt deinen Entzug...

coldwaves on Mi, 09/29/2021 - 11:57

...mit jedem Wort. Klasse geschrieben. Bin neidisch und hoffe auch mal wieder ins gelobte Land zu kommen bzw Zeit und Gelegenheit dafür zu habe.

... und nach dem Ausflug einen Rückfall ;=)
by the way: Sam ist unterwegs im Atlantik......