Ende vorletzter Woche checkte ich mehr aus alter Gewohnheit denn als realistische Planungsgrundlage mal wieder die Wetter- und Wellenvorhersagen an Dänemarks nördlichen Küsten. Ich erwartete die üblichen Sommer Zahlen – kleine Wellen, winzige Periode, eventuell ausreichend lokaler Wind zum Stehsegeln – vorzufinden und damit Gewissheit zu haben, dass ich nix verpassen würde. Exakt diese Zahlen zeigten sich mir dann auch mit Ausnahme eines Tages, für den wohl ein Bug in den Rechenmodellen fälschlicherweise Winter typische Zahlen ausgespuckt hatte. Wobei 17 Sekunden Periode bei immerhin noch 0,7m Swellhöhe selbst für den Winter ungewöhnlich waren.
Halbherzig prüfte ich nun die Vorhersagen für meine Referenz Bojen und schaute mir das Gesamtbild für den Nordatlantik an. Völlig überrascht stellte ich dabei fest, dass sich ein deftiges Sturmtief mitten im Nordatlantik entwickelte, das tatsächlich das Potential für Winter Groundswell mitten im Sommer hatte. In Thy sollte der Wind am Tag X leicht aus Südost fächeln und Lufttemperaturen von deutlich über 20 Grad waren vorausgesagt.
Ich fiel in lange vergessene Verhaltensmuster zurück. Der Forecast wurde täglich zwei Mal gecheckt und vorsichtshalber schon einmal der Donnerstag von beruflichen Terminen freigeräumt. Am Montag war dann klar, dass der Swell definitiv kommen würde und ich begann ein paar Freunde anzufragen, ob sie mitkommen wollten auf einen Tagestrip. Zwei der Kandidaten hatten an dem Tag ihren Covid-Impftermin und der Rest war beruflich und / oder privat verhindert. Ich würde also alleine fahren müssen, was schlecht für mein Klimagewissen aber im Grunde das Gewohnte war. Neu am früher gewohnten Ablauf war zu prüfen, ob mich die Dänen überhaupt ins Land lassen würden. Für diesen Check benutze ich Re-open EU und dort fand ich heraus, dass ich keinen besonderen Grund mehr brauchte um einreisen zu dürfen und dass ein Antigen Schnelltest mit dem richtigen Ergebnis reichte als Eintrittskarte.
Mittwochmittag ließ ich mir dann den Wattestab in die Nase stecken, hatte eine Viertelstunde später das gewünschte Dokument in digitaler Form im E-Mail Postfach und machte mich am frühen Abend auf den Weg. An der dänischen Grenze wird weiterhin gegen alle Schengen Abkommen verstoßend durchgehend kontrolliert, aber ich wurde durchgewunken ohne dass ich mein negatives Testzertifikat vorzeigen musste. Manchmal hilft es eine Karre zu fahren, die mehr nach Handwerker Bus als wohnliches Mobil aussieht.
Dank der Autobahnerweiterung bis Holstebro kam ich sehr flott und recht entspannt voran – kein Vergleich mehr mit der früher notwendigen Landstraßen Ralley – und erreichte über leere Landstraße den Oddesund im typischen wunderbaren Mittsommerlicht Norddänemarks. Es war bereits 23:30, noch sehr hell und der Himmel schimmerte in kräftigem Orange, Rot und Violett. Kurz war ich noch aufgeschreckt als ich im Vorbeifahren ein Schild sah, das eine Sperrung der Brücke anzeigte, aber es stellte sich heraus, dass das nur zwischen Mitternacht und 5 Uhr morgens der Fall war.
Ab der Brücke fahre ich inzwischen fast nur noch mit der auf Dänemarks Landstraßen geltenden Höchstgeschwindigkeit, insbesondere nachts und wenn es durch Waldstücke geht und dort öfter mal Tiere die Straße überqueren und mir auch schon mal in den Bus gerannt sind. Da es auch um Mitternacht noch nicht richtig dunkel war und ich weder übermüdet noch zu schnell war konnte ich so im Nationalpark einem Fuchs ausweichen und einer Art Marder – wahrscheinlich geflüchtet von den COVID Pelzfarmen der Gegend – die am Straßenrand rummachten und unbedingt noch vor mir auf die andere Seite mussten.
Gegen halb eins erreichte ich dann mein Ziel und da es noch recht hell war, wollte ich erst noch einmal schauen wie die Wellen sind und steuerte den Parkplatz vor der Fischräucherei an. Um da hinzukommen, musste ich erst einmal eine Straßensperrung gleich am Dünenparkplatz missachten. Der Parkplatz vor der Fischräucherei war dann Baustelleneinrichtungsfläche für wieder einmal ein überambitioniertes Tourismus Infrastrukturprojekt. Offensichtlich hatte man sich unter die hohe Düne vor der Fischräucherei gebuddelt, um ein Nationalpark Zentrum zu bauen. Den Eingangsbereich zierte eine etwas zu groß ausgefallene Sichtbetonwand, die sicher bald wieder vom Sand zugeweht wurde.
Entlang des Baustellenzauns, der bis oben auf den Hügel reichte, suchte ich mir einen Weg nach oben zu meinem seit Jahren bevorzugten Aussichtspunkt über die Bucht und den Ort. Es war noch hell genug, um zu sehen, dass bereits ein paar ganz brauchbar aussehende Wellen liefen, und eine kurze Weile war ich vertieft in den wunderschönen nächtlichen Ausblick auf den Strand und das Meer und den hübsch gefärbten Horizont. Seltsamerweise begann mir aber nun das ganze Gesicht zu jucken und es dauerte eine Weile bis ich begriff, dass Horden von Sandfliegen mich gerade bei lebendigem Leib auffressen wollten. Ich flüchtete nach unten und in den van und fuhr das kurze Stück bis zum Dünenparker und legte mich schlafen.
Der Swell sollte lauf Forecast ab 8 Uhr morgens mit seiner ganzen 17 Sekunden Periode an dieser Küste eintreffen und ich stellte den Wecker auf 6:45. Dank der tätigen Mithilfe eines sehr Gesanges freudigen Vogels in der Düne neben an, war ich dann um Sieben auf den Beinen und checkte als zweites – nach dem Morgenkaffee – den Swell. Der sah gut aus und eine kurze Hochrechnung dessen was ich hier sah auf das Riff weiter nördlich ließen mich endgültig wach werden. Zurück am Bus stellte ich fest, dass ich genau neben dem Van einer Freundin geparkt hatte und die kam gerade aus den Federn gekrochen. In der Folge verquatschte ich mich etwas, wurde dann aber bald unruhig bis fast schon unhöflich. Ich musste dringend los zum Riff.
Dort angekommen brachte ein blick von den Dünen folgende Erkenntnisse: 1. Durch den leichten Offshore stank es leicht nach Gülle. 2. Größere Mengen von Insekten fielen über jede und jeden her, die / der länger da oben still stand. 3. Es war zwar erst kurz nach Acht aber schon sehr warm. 4. Der Swell war kleiner als erwartet aber in den Sets sehr nett. 5. Es war noch relativ leer im Lineup. 6. Ich musste da jetzt schnellstmöglich auch raus.
Die sich bereits der 30 Grad Marke nähernden Lufttemperaturen und mir unbekannten Wassertemperaturen machten die Neopren Auswahl etwas schwierig. Ich wählte den 5 mm Gummi und die dünnen Booties, was sich draußen dann aber schnell als etwas overdressed herausstellte. Beim raus paddeln kam mir dann ein im Face kopfhohes, wunderschönes Set entgegen und meine Vorfreude wurde nochmals gesteigert. Ich beschloss wie üblich etwas weiter draußen zu sitzen und auf die größeren Sets zu warten. Die kamen erst einmal nicht, aber das war kein Grund zur Beunruhigung. Bei 16 bis 17 Sekunden Periode können die Abstände zwischen den Sets sehr groß werden und schon mal 15 Minuten warten bedeuten.
Erst einmal genoss ich überhaupt einmal wieder draußen auf dem Meer zu sein und das brillante sonnige und warme Wetter sowie die fast glasige See fühlten sich ziemlich gut an. An der Inside war es ein bisschen voller und hin und wieder brachen dort auch kleinere Wellen. Doch insgesamt schien der Swell gerade eine längere pause einzulegen, denn es war zunehmend flat. Nach einer halben Stunde wurde ich dann doch ungeduldig und bewegte mich gerade etwas näher zur Inside, als gut 20 Surferinnen und Surfer in bunten Lycras und mit Softboards am Strand eintrafen und gemeinsam raus paddelten und sich an der Inside breit machten.
Das trübte meine Laune dann doch etwas ein und als ich mitbekam, dass man den Surfschülern bisher wohl eher wenig Lineup Etikette beigebracht hatte – Vorfahrtsregeln? Und überhaupt, paddeln 20 Leute alle gemeinsam gleichzeitig an so einen Spot raus? – beschloss ich mich da besser raus zu halten und mich in Geduld zu üben bis endlich wieder ein Set kommen würde, das weiter draußen am Riff brechen würde. Aber es kam nicht. Nach einer Stunde verlor ich dann endgültig die Geduld und paddelte in die Party Zone an der Inside, hielt mich dann aber doch aus dem Getümmel raus und flüchtete mich bald an den Strand.
„COLD HAWAII“ – EIN TOTAL BESCHEUERTER NAME. Das schreibt Jens Steffenhagen in seinem wunderbaren „Faces Of Klitmøller“ Artikel in der gerade herausgekommenen neuen Ausgabe der Blue (kann man hier käuflich erwerben) und meine aktuellen Eindrücke wurden von diesem Satz bestens widergespiegelt. Branding und Marketing bis der Arzt kommt oder wenigstens die Magie dieses Ortes durch Overtourism massiv beschädigt ist. Außerdem war es viel zu heiß, um von „cold“ zu sprechen. Klar, die wachsenden Massen der Surf Süchtigen und sonstigen Touristen halten den Ort wirtschaftlich am Leben, und ermöglichen einigen Locals vom Surfen / Windsurfen / Kitesurfen / SUP-en / Foil Surfen und sonstigen Spielarten des Wassersports zu leben oder wenigstens selber viel Zeit auf dem Wasser verbringen zu können. Aber die Grenze zur Zerstörung dessen, was man liebt ist halt auch schnell überschritten.
Aber vielleicht jammere ich ja auch nur längst vergangenen und unwiederbringlichen Pionierzeiten der Nordsee Surfens aus meinen ebenfalls unwiederbringlichen jüngeren Jahren hinterher. Auf jeden Fall stapfte ich etwas frustriert und ziemlich überhitzt die Dünen rauf, drehte mich oben noch einmal um begann zutiefst an meinem Nordsee Karma zu zweifeln. Das erste brauchbare Set seit über einer Stunde rollte jetzt rein und ein paar weitere folgten. Ich musste trotzdem erst einmal zum Bus frühstücken.
Im Bus hielt ich es dann wegen der Hitze nicht lange aus und stieg immer wieder auf die Düne, wo es genauso windstill und heiß und voller Sandfliegen war. Aber wenigstens erbrachten diese Ausflüge die Erkenntnis, dass der Swell nun wieder etwas besser und vor allem konstanter rein rollte. Ziemlich bald war ich dann auch wieder selbst im weiterhin zu vollen Lineup aber dank der besseren Wellenkonstanz konnte ich nun wenigstens behaupten gesurft zu sein. Aus dem alle Mann (und Frau) gleichzeitig die Welle anpaddeln hielt ich mich aber raus und diese Zurückhaltung kostete mich die ein oder andere bessere Welle. Am frühen Nachmittag reichte es mir dann aber und dieses Mal passte dann auch mein Timing, denn kurz danach war es ganz vorbei mit Wellen.
Zum Glück war der Tag alles in allem viel zu schön – und ich wohl auch viel zu sehr auf Meeresentzug – um mir trotz der Überfüllung die Stimmung zu vermiesen, getreu nach dem alten Motto „a bad day at the beach is still better then a good day in the office“ und ich bereute nicht, den langen Weg hier her gemacht zu haben. Aber meine Nordsee Surfsaison für diesen Sommer habe ich im Geiste bereits wieder beendet. Mit den überall beginnenden Ferien wird das hier wohl nicht besser. Ich hoffe jetzt, dass bald mal wieder Wind aus passenden Richtungen zum Stehsegeln weht und vielleicht was in den obskureren Randgewässern von Ostsee und Kattegat geht. Ansonsten werde ich wohl weiter an meiner Radel-Fitness arbeiten und in Kürze lange nicht mehr gefahrene Trails in den Alpen ansteuern. Hat auch was.
Nachtrag: inzwischen habe ich herausgefunden, dass ich am Riff in einen Betriebsausflug des „Cold Hawaii“ (ausgerechnet) Surf Camps geraten war. Ich lass das mal ohne weitere Kommentierung so stehen…
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