Vorab für Christoph:
Unter dem Begriff Ghosting (engl. „Geisterbild“, „Vergeisterung“) versteht man in einer zwischenmenschlichen Beziehung (Partnerschaft oder Freundschaft) einen vollständigen Kontakt- und Kommunikationsabbruch ohne Ankündigung. Obwohl vorher etwa Dates stattgefunden haben oder eine Beziehung bestand, laufen plötzlich jegliche Kontaktversuche ins Leere. (Quelle: Wikipedia)
Außerdem:
Als Geisterbild (häufig auch englisch Ghosting genannt) bezeichnet man eine schwach sichtbare, meist weniger leuchtstarke Kopie eines Bildes, das gegenüber dem Hauptbild versetzt ist. (Quelle: nochmal Wikipedia)
In grauer Vorzeit, als man zu Wind- und Wellenprognose nicht mehr beim Deutschen Wetterdienst anrufen musste, sondern sich auf neu entstehenden Seiten im Internet wie Magicseaweed eine Meinung holen konnte, hatte ich mich auf die Jagt nach sog. Ghostswells spezialisiert. So nannten wir damals Nordsee Swells, die offensichtlich völlig aus dem Nichts kommend und auf keinem Vorhersagemedium erkennbar an die dänische Westküste liefen. Mit ein bisschen Erfahrung im Wetterkarten lesen und dem Wissen, dass in der Nordsee tatsächlich halbwegs regelmäßig sauber Wellen ohne begleitendes Onshore Windgeballere laufen – das Gros der deutschen Surfer Gemeinde hat das lange und leidenschaftlich als Fake News abgetan – konnte man damals tatsächlich Sahnewellen für sich allein oder in Begleitung einer Handvoll Freunde surfen.
Diese Zeiten sind lange vorbei, die Forecast Anbieter rechnen inzwischen sehr genau und die meisten Surfer können die vom Internet ausgespuckten Zahlen auch richtig interpretieren. Das erspart inzwischen viele Enttäuschungen und wohl auch etwas CO2 (nicht alle meiner Expeditionen damals waren erfolgreich), bedeutet aber, dass man an guten Tagen zumindest an den Top Breaks nicht nur selten alleine auf dem Wasser ist, sondern sich regelmäßig mit beachtlich ge- bis überfüllten Lineups arrangieren muss.
Mein alternder Körper und zunehmend schlechtes Klimagewissen haben mich längst meine Reise- und damit Surf Gewohnheiten ändern lassen. Prinzipiell fahre ich jetzt weniger, dafür möglichst länger los. Ferienzeiten und Wochenenden versuche ich völlig zu vermeiden und Tagestrips mit hin und zurück 1.000 Kilometer sind völlig tabu. Trips nach Dänemark summieren sich so auf maximal eine Handvoll im Jahr. Manche Wetterszenarien lassen mich allerdings hin und wieder in alte Verhaltensmuster zurückfallen.
Vorletztes Wochenende zeichnete sich mal wieder so ein besonderes Szenario ab. Zwei sehr kräftige Sturmtiefs zogen kurz nacheinander durch den nordwestlichen Atlantik und beschwerten den europäischen Atlantikküsten epische Wellen. Beide Tiefdruckgebiete zogen nördlich genug, um einen Swell zu kreieren, der es auch um Schottland herum in die Nordsee schaffen konnte. Montag und Dienstag sollte der es bis an die dänische Westküste schaffen, wo ein leichter südöstlicher bis südlicher Wind wehen sollte.
Windfinder versprach für Thy 0,6m Swell mit bis zu 17 Sekunden Periode und Magicseaweed hatte ähnliche Zahlen auf dem Tableau. Dazu leichter Offshore. Eigentlich eine Musst-Go Vorhersage. Die ungewöhnlich hohe Swell Periode von durchgehend 16 bis 17 Sekunden am Montag machten mich noch ein bisschen skeptisch. Außerdem war die Swell Richtung an meiner Referenzstation Munkegrund einen Tick zu südlich für meinen Geschmack. Aber ein letzter Check meiner zweiten Referenzstation Viking B Platform am späten Sonntagabend zeigt die richtigen Zahlen und so quälte ich mich Montagfrüh um Fünf aus dem Bett und machte mich auf den Weg gen Norden.
Gegen Mittag kam ich dann an der nördlichen Mole an, erklomm hektisch die Düne und fand die Nordsee: völlig flat. Also, so richtig flat, wie der Plöner See bei Windstille. Ich konnte es nicht fassen. Aber vielleicht lag es an der hohen Periode und ich musste mich gedulden, bis ein Set kam. Nach einiger Zeit erschien das dann auch am Horizont und brach auf der Sandbank: kniehoch. Ich fühlte mich ziemlich verarscht. Aber vielleicht reichte der Mini Swell ja für das Riff weiter nördlich und da fuhr ich hin. Auch hier wieder nervöser Marsch auf die Dünen und am Riff ein paar dunkle Punkte relativ weit draußen auf der platten See.
Ich baute darauf, dass die Kollegen da nicht völlig sinnfrei rumtrieben und tatsächlich rollte nach einiger Zeit ein Set rein, das wenigstens hüfthohe Falten aufwarf. Kurz drauf saß ich auch da draußen. Die Nordsee war noch angenehm temperiert und das konstante Paddeln gegen die nach Norden ziehende Strömung hielt mich zusätzlich warm. Leider aber waren die Wellen, die ab und zu rein rollten eher lascher Windswell mit Querschwabbel denn die erhofften Groundswell Wellen. Nach gefühlt fünf Kilometer Strömungspaddeln und eher lausigen Wellen hatte ich genug und verzog mich an den Strand und im Anschluss auf den Parkplatz an der Bucht von Klitmøller. Der Parkplatz am Toiletten Häuschen war leer und so parkte ich mit Panorama Blick auf die Bucht und machte mir was zu essen.
Nach einer Weile erspähte ich auf einmal zwei Beulen in der ansonsten spiegelglatten Wasseroberfläche der Bucht und zwei sehr nette Wellen brachen als langsame, aber langlaufende Linke. Das war genau das, was ich sehen wollte. War der Swell nun doch angekommen? Ich schlang den Rest meiner Brotzeit runter und bereitete mich mental auf das Anziehen des noch nassen und saukalten Neos vor, ohne dabei die bucht aus dem Blick zu lassen. Doch die war nun wieder platt und leer. Also nicht ganz leer, denn drei Kollegen hatten die Fata Morgana wohl auch gesehen und paddelten raus an die Stelle, wo vorhin der Peak war. Da saßen sie dann eine Weile, bis endlich wieder ein Set rein kam. Kurz darauf noch eines und dann wieder: nichts. Absolut nichts. Kurz bevor es ganz dunkel wurde, paddelte die Crew wieder zurück an den Strand.
Ich fuhr dann auf den Parkplatz am Bunkermuseum in Hanstholm – dem einzigen Platz in der Gegend an dem man legal außerhalb eines Campingplatzes für eine Nacht stehen konnte – und hatte dank der frühen Dämmerung noch lange Zeit, mir Gedanken über diesen Swell zu und das derzeit offensichtlich bei digitalem Dating grassierende Phänomen des Ghostings zu machen. Der Swell hatte sich da durchaus ähnlich verhalten, lockte uns raus aufs Wasser mit ein, zwei hübschen Wellen, nur um uns dann die völlig kalte – nicht vorhandene – Schulter zu zeigen. Außerdem fluchte ich insbesondere auf Windfinder und hatte große Sorge, was mich denn am Dienstag erwarten würde. Einziger Hoffnungsschimmer war, dass die Swell Periode etwas runter und die Swellhöhe um 20 Zentimeter rauf gehen sollte. Angeblich.
Dienstagmorgen war ich dann vor dem ersten Tageslicht auf den beinen und fuhr mit Beginn der Dämmerung das kurze Stück zu meinem zweitliebsten Aussichtspunkt auf die Northshore. Unten auf der See schienen sich Linien abzuzeichnen und mit zunehmendem Licht verstärkte sich der Eindruck. Die Swell Größe war wie immer von hier oben schwer einzuschätzen, aber die Lines liefen sehr regelmäßig rein. Also fuhr ich runter zur ehemaligen Fischfabrik, parkte an der Wasserkante und sah saubere, knöchelhohe Lines rein rollen. Es war nicht zu fassen. Ich schaute mir noch die Bilder von gerade eben in meiner Kamera an und das, was da erkennbar war, hatte nichts mit der platten See hier unten zu tun. Geisterbilder von früheren Aufnahmen? Ich checkte die Bilder auf der anderen Kamera, mit dem exakt selben Ergebnis. Das konnten keine Ghosting Effekte auf den Bildschirmen sein.
Offensichtlich war der Puls des ersten Sturmtiefs über Nacht an die Küste hier gelaufen und ich hatte von oben gerade noch die letzten Zuckungen gesehen. Der Wind war noch sehr leicht, fächelte aber bereits aus südlicher Richtung. Außerdem sah es so aus, als ob sich heute sogar die Sonne blicken lassen würde. Ich warf den Lastwagen an und fuhr wieder nach Klitmøller. Vielleicht würde der Südwind ja lange genug schwächeln für eine Session am Muschelriff. Dem war so, und das Riff schaffte es tatsächlich ein paar, wenn auch wabbelig Falten aufzuwerfen. Interessanter waren jedoch ein paar leichte Beulen auf der Wasseroberfläche in der Mitte der Bucht. Ich beschloss ein letztes Mal den vorhersagen zu trauen und noch etwas zu warten. Gegen Mittag sollte die Swell Periode etwas runter gehen und die Swellhöhe etwas zunehmen. Also vertrieb ich mir die Zeit, um die Fischer zu beobachten, die gerade ihre Winzlingsboote anlandeten (im Hintergrund hatte ich das Riff im Auge) und genoss die schöne spätherbstliche Lichtstimmung.
Gegen Elf kam dann tatsächlich regelmäßiger Bewegung in die Bucht und als das erste wirklich schöne Set brach war der „now or never“ Moment erreicht. Ich paddelte raus ins gerade mal wieder platte Nichts zu einem Kollegen und hatte kurz darauf meine erste Welle. Es war eine für den Break typische recht kraftlose, aber lang laufende Linke und ging in Richtung dessen, wofür ich die weite Anreise gemacht hatte. Für eine gute Stunde liefen dann halbwegs regelmäßig ähnliche Wellen rein, die wir uns zu dritt teilten. Dann aber war plötzlich wieder alles vorbei. Die anderen verzogen sich nach langem Warten zum Muschelriff und mir war inzwischen zu kalt, also ging ich wieder an Land.
Laut Vorhersagen sollte der Swell noch etwas zunehmen, aber ich glaubte beiden Vorhersagern meines Vertrauens nicht mehr. Trotzdem wollte ich mich noch nicht auf den Rückweg machen und fuhr noch einmal an die Northshore. Dort angekommen sah ich gleich eine Reihe von Wellen rein rollen, gerade mal hüfthoch aber super clean und definitiv mit dem Longboard surfbar. Zwei Surfer machten sich gerade fertig um in den noch leeren Lineup raus zu paddeln. Ich zwang mich, mich darauf zu freuen gleich noch einmal den nasskalten Neo überzuziehen, als ich am Strand eine Horde von rund zwanzig Menschen im Neo, mit bunten Leibchen und Softboards unter den Armen erblickte. Der Schulbus war angekommen und damit war klar, dass ich heute nicht mehr hier raus paddeln würde.
Wie üblich verteilte sich die Truppe überall da, wo die Wellen brachen und paddelte wie gewohnt alles an, was nach Welle aussah, egal ob da schon jemand drauf war. Es war der übliche Mix aus Party Waves und Slalom fahren um menschliches Treibgut herum und die ein und andere Kollision. Die Klasse und ihre Lehrer hatte Spaß. Ich würde trotz einiger inzwischen sehr schön laufender Wellen da draußen keinen Spaß haben. Zum woanders hin fahren war nicht mehr genügend Zeit und so machte ich mir noch einmal eine Brotzeit und schaute dem Zirkus zu, bis es viel zu früh dunkel wurde.
Auf der langen Rückfahrt hatte ich wieder mehr als genug Zeit um die Erkenntnisse der letzten 36 Stunden zu verarbeiten:
Swell Vorhersagen mit Perioden über 13 Sekunden und Swellhöhen von unter einem Meter (Windfinder) bzw. unter einem Fuß (Magicseaweed) sind mit absoluter Vorsicht zu genießen und die lange Anreise nicht wert. Vor allem nicht in der dunklen Jahreszeit, wenn die Tage bereits viel zu kurz sind und schon gar nicht für Kurztrips. In Thy kommt erschwerend hinzu, dass die Cold Hawaii Leute halt recht genau wissen, wo die besten Wellen bei welchen Bedingungen brechen und – für mich in diesem Jahr bereits zum zweiten Mal – dort gerne mal die besten Lineups überfüllen. Und das selbstverständlich auch an Schultagen. In der Summe war es das dann für mich für diese Saison. Komme vielleicht im nächsten Frühjahr wieder, und dann auch eher zum Windsurfen und das nur wenn es sich für mehr als zwei Tage lohnt. The times, they are changing……
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Ahaaaa....
coldwaves on Fr, 11/26/2021 - 10:22...deswegen hast du nicht bescheid gesagt und mich geghosted ;-)
Tolle Storie, klasse. Schade ist nur das einfache Tagestrips ins gelobte Land ohne WoMo einfach nicht mehr machbar sind. Aber irgendwann bin ich auch mal wieder da oben.
ehrlich gesagt
tripmaster on Fr, 11/26/2021 - 11:09wollte ich dich Montag früh um fünf nicht aus dem Bett holen. Denn da habe ich mich erst final entschieden los zu fahren. Außerdem hast du mir auf meine Avancen an Arbeitstagen eh immer die kalte Schulter gezeigt ;=)
Tagestrips kann man eh nicht mehr wirklich machen in Zeiten der Klimakrise. Außerdem brauche ich immer ordentlich Zeit, um mich von der Fahrerrei zu erholen. Man wird halt nicht jünger.