Freitag der Dreizehnte.

Ich bin ja seit ein paar Jahren ein Fan der englischen Nordseeküste, genauer gesagt dem teil, der im wunderschönen Yorkshire liegt. Dabei ist es die Combo aus dem durch Moorlandschaften geprägten, hügeligen Hinterland, der wilden und zerklüfteten Küste, den mittelalterlichen Dörfern, viktorianischen Seebädern und skurrilen neuzeitlichen Vergnügungsparks sowie den durchaus spannenden Stränden, Riffen und Points, die mich magisch anzieht.

Oder sagen wir besser: anzog. Denn schon die unsäglichen, vielfach durch Lügen und Ignoranz geprägten „Diskussionen“ im Vorfeld des Brexit Referendums haben meine Liebe zum Großen Britannien deutlich erkalten lassen. Aber damit, und auch mit dem Entscheid zum Brexit selbst, hätte ich noch leben können. Doch das was sich seit dem Referendum an dumpfem Fremdenhass und Chauvinismus auftat, hat mich schockiert. Ich habe die Briten und insbesondere die Engländer immer schon als etwas skurril und anders tickend, aber dennoch liebenswürdig und rational denkend empfunden. Die nun an die Oberfläche brodelnde Masse an Feindseligkeit gegenüber Nicht-Briten (oder besser: Nicht-Engländern) sowie Dummheit hätte ich in diesem Ausmaß nie erwartet.

Aus Liebe war tiefste Aversion geworden. Ich empfand eine schon fast körperlich spürbare Abneigung bei dem Gedanken, dass noch große Britannien noch einmal zu besuchen (Ausnahme: Schottland). So strich ich tiefst traurig die englischen und walisischen Küsten von meiner Optionsliste.

Nun hatte ich mal wieder eine sehr arbeitsintensive Phase und musste in der Folge über die Weihnachts- und Neujahrsfeiertage durcharbeiten. Meine letzte Surf Session hatte ich Ende Oktober, dementsprechend groß waren die Entzugserscheinungen. Zu allem Überfluss verpasste ich dann noch einen epischen Wintersurf Tag Anfang Januar in Dänemark, weil ich zu zögerlich war hauptsächlich wegen des Wetters. Langer Rede, kurzer Sinn: ich hatte es dringend nötig!

So war ich dann sehr aufgeregt, als sich Mitte Januar ein heftiger Sturm für die Nordsee abzeichnete. In der Frühphase der Vorhersage schien die dänische Nordseeküste Chancen auf richtig gute Wellen zu haben. Süd- bis südöstliche Winde plus richtig großer Nordswell, da wusste ich wo ich hinmusste. Doch je näher der Tag X, ein Freitag der Dreizehnte, kam, desto schlechter wurde die Prognose. Der massive Swell blieb zwar konstant, aber die lokale Windrichtung wurde mehr und mehr Richtung Nordwest korrigiert. Mega-Gehacktes würde das für Thy bedeuten.

Doch Moment, Swell mit 5 Meter bei 14 Sekunden Periode aus Nord plus Nordwestwind? Da war doch was. Genau. Die Küste auf der anderen Seite des Teichs im nun No-Go-Land. Ich rang mit meiner tiefsitzenden Aversion. Ich checkte einfach mal so die Flugverbindungen von Hamburg nach Manchester. Ich rief mir die Bilder von einem ähnlichen Sturm im Spätherbst 2015 vor das geistige Auge. Scheiße. Ich buchte den Flug (Donnerstagabend hin, Dienstag sehr für am Morgen zurück, 140 Euro, allerdings ohne Brettmitnahme, dafür war der Flieger zu kleine). Eine Stunde später wollte ich den Flug schon wieder stornieren, denn ich hatte den Fehler gemacht im Guardian wieder einen Artikel über britische Politiker zu lesen. Aber zu spät, da musste ich jetzt durch bzw. hin.

Donnerstagabend landete ich dann pünktlich um 20 Uhr Ortszeit in Manchester. Formalien für den Mietwagen hatte ich schon vorher online komplett ausgefüllt, so dass ich den Wagen in Rekordzeit von 10 Minuten übernehmen konnte. Vor der Abfahrt noch ein kurzer Wettercheck (dank des Einsatzes der EU nimmt mir mein Telekommunikationsanbieter keine Roaming Gebühren mehr ab) über das smarte Telefon. Hmm, Windvorhersage ist wieder mehr auf Nord korrigiert worden, in Orkanstärke. Dazu Schneefall in der Nacht von Donnerstag auf Freitag auf der vor mir liegenden Strecke.

Freitag selber surfen würde wohl eher nix werden, es sei denn ich finde eine sehr geschützte Bucht. Nun, wenigstens hatte ich damit erst mal keine übergroße zeitliche Eile und konnte die vor mir liegende Strecke im erwarteten Schneechaos ruhig angehen. Zweieinhalb Stunden braucht man normalerweise von Manchester nach Scarborough, wo ich mein Basislager aufschlagen wollte.

Kaum raus aus dem Flughafengelände fuhr ich bereits an den ersten Schildern mit „Sever Weather“ Warnungen vorbei. Schneeregen prasselte auf die Windschutzscheibe. Aber auf dem Motorway war das bisher problemlos zu fahren. Nach rund 30 Meilen wurde es dann sogar trocken und so blieb es bis Scarborough, das ich in entspannter Fahrt erreichte. Ich hatte mich im Boardshed Hostel eingebucht und ließ mich von meinem schlauen Telefon ans Ziel leiten. 40 Meter bevor Siri mir „Ziel erreicht“ ins Ohr flüstern würde, wurde ich dann von einer Sandsack Barriere gestoppt, die als Flutschutz von der Hafenpromenade zu den Häusern am Fuße des Hügels dienen soll . O.K., die erwarten für morgen hier wohl deftiges Wetter.

Nach einem kleinen Umweg fand ich dann aber das Hostel und rief Paula, die Vermieterin an, die mich in das Hostel ließ. Das ist in einem alten Werftgebäude eingerichtet, mit einem großzügigen Aufenthaltsraum, einem Gemeinschaftsschlafraum für bis zu 20 Leuten und einem Dusch- und Toilettenbereich. Sehr nett gemacht das Ganze, perfekt gelegen (beide surfbare Buchten an der Halbinsel sind zu Fuß erreichbar) und explizit auf Surfer ausgelegt. Eine echte Option für dich und deine Kumpels wenn du einen Ostküsten Surftrip machen willst. Ich war allerdings ganz froh, dass neben mir nur noch ein anderer Gast hier übernachtete. Ein sehr netter Typ aus der Gegend, der im Pub nebenan war und es dabei geschafft hatte noch so zurechnungsfähig zu bleiben, dass er hier lieber spontan übernachtete und nicht im Wintersturm mit dem Auto nach Hause fuhr. Leider schnarchte er wie eine Horde Wildschweine und die Vorstellung, das Hostel zusammen mit 10 Surfer Buddies zu mieten erschien mir nicht mehr so eine gute Idee zu sein.

Trotz unruhiger Nacht kam ich Freitag dann kurz vor Tagesanbruch aus den Federn und machte mir erst mal einen Insta-Kaffee. Draußen lag noch Schnee. Der angekündigte Schneesturm ist dann wohl über Nacht doch noch gekommen. Allerdings regnete es jetzt. Ich zog trotzdem schnell los, um einen ersten Eindruck vom angekündigten Sturm zu bekommen. Da ich die Gegend kannte lief ich erst einmal den Hang hoch um mir einen Überblick zu verschaffen. Das war ein ziemliches Geeiere, denn der noch vorhandene Schnee wurde durch den Regen mal richtig rutschig. Dazu schaffte es hin und wieder eine Orkan Böe über den Berg und blies mich fast um.

Etwas weiter oben im Ort hatte ich dann einen ersten Ausblick auf die Bucht. Diese liegt im Lee des immer stärker werdenden Orkans aus Nord und der Wind kam hier side-offshore. Der Swell war bereits mächtig genug um den 90 Grad Bogen an der Spitze der Halbinsel ohne wesentlichen Energieverlust hinzubekommen. Auch der extreme Wind schaffte es zwar, hin und wieder das Wasser zum Kochen zu bringen, nicht aber die Lines davon abzuhalten in die South Bay zu donnern. Ich kämpfte mich dann nach oben auf den Kamm der Halbinsel, um zu sehen was in der North Bay los war. Wie erwartet herrschte dort Sturmchaos.

Die Bedingungen in der South Bay machten mir Hoffnung, dass der Hauptgrund meiner Reise, ein linker Point in der Nähe laufen würde. Diesen Point habe ich seit ein paar Jahren im Auge, habe ihn aber noch nie richtig laufen sehen. Bei meinen drei bisherigen Aufenthalten in der Gegend war der Swell immer gerade so groß, dass man die Qualität dieser Welle erahnen konnte, sie aber nie wirklich zum Laufen kam. Nun der Swell war nun offensichtlich groß genug. Unklar war, wie der Point mit dem Nordsturm umgehen würde. Da ich aber sowieso ein Frühstück brauchte machte ich mich auf den Weg, holte mir an der Tanke Kaffee und Muffins und fuhr zum Point. Dort angekommen regnete es wieder ordentlich und ein beißender Wind blies über die Wiesen. Der Weg über den halb gefrorenen Matsch des Pfades zur Klippenkante war so recht unangenehm und was ich von der Kante aus sah, bereitete mir auch keine Freude. Die Tide war zu niedrig und an der äußeren Riffkante herrschte das Chaos.

Was nun? Ich kannte da noch so eine Bucht, die nach dem Typen in den grünen Strumpfhosen benannt ist. Dort waren die Klippen noch höher und der Wind sollte besser abgedeckt sein. Einen Point sowie ein Riff gibt es hier auch, allerdings wusste ich von früheren Besuchen, dass beide extrem Tiden abhängig und nur unter sehr speziellen Konstellationen funktionierten. Ich fuhr trotzdem gen Norden. An der letzten Kuppe bevor das Gelände zur Küste abfällt hielt ich an, um einen Überblick zu bekommen. Der Swell sah von hier oben ziemlich groß aus, allerdings waren weder der Point noch das Riff einsehbar. Ich ging zurück zum Auto und geriet dabei in einen Hagelschauer der mir auf den rund 100 Metern zum Auto gefühlt die komplette Gesichtshaut wegschmirgelte. Heftiges Wetter.

Unten in der Bucht fuhr ich auf den großen Besucherparkplatz und freute mich wie ein Schneekönig, dass man um diese Jahreszeit keine Parkgebühren berappen muss. Dann lief ich runter in das kleine Städtchen. Kurz vor dem historischen Teil des Orts hat man den besten Überblick über die Bucht. Von hier aus wurde ersichtlich, dass der Wind tatsächlich gut von den nördlichen Klippen abgedeckt wird. Auch hier war der Point leider von der Größe des Swells überfordert und produzierte keine wirklich brauchbaren Wellen. Vielleicht passte aber auch die Tide nicht. Dafür produzierte das Riff in der Mitte der Bucht einen mächtigen A-Frame, der allerdings auch mehr dem wind ausgesetzt war. Niemand war draußen. Da ich eh noch kein Brett ausgeliehen hatte, musste ich auch nicht mit mir ringen, ob ich bei diesen extremen Bedingungen zu einer Solo-Session raus paddeln sollte.

Stattdessen setzte ich mich wieder ins Auto und fuhr zurück Richtung Süden. Während der Fahrt hörte ich im Radio Nachrichten in denen aufgeregt über die bevorstehende Sturmflut – gegen 16:30 Uhr sollte High Tide sein – berichtet wurde. Am Stadtrand von Scarborough beschloss ich auf die Straße zur North Bay abzubiegen, um zu sehen, was da los war. Da die am Strand entlangführende Straße gesperrt war, parkte ich am Schwimmbad und lief die kurze Strecke zur North Bay. Der Wind hatte deutlich nachgelassen und auf dem Weg nach unten konnte ich mächtige Wellen in der Bucht sehen. Verdammt dicke Wellen waren das, nicht nur für Nordsee Verhältnisse.

Unten an der Promenade zeigte sich aber, dass zwischen diesen Wellen und dem Ufer eine Zone mit apokalyptischem Weißwasserchaos und Backwash lag. Die noch auf der Uferpromenade parkenden Autos erhielten regelmäßige Salzwasserduschen und in den Türen der Läden standen nervöse Ladenbesitzer hinter Flutschutzbarrieren. Ich entschloss mich das letzte Tageslicht zu nutzen und noch einmal einen blick auf DEN Point zu werfen. Zum Glück blieb ich auf dem Weg durch Scarborough von den für die Stadt notorischen Staus relativ verschont und erreichte die Bucht noch vor Sonnenuntergang. Die Sonne hatte sich inzwischen tatsächlich blicken lassen und stand unter tief am Horizont. Das konnte spannendes Licht geben.

An der Klippenkante hatte ich dann tatsächlich spannendes Licht, das eine apokalyptische Szenerie schuf. Die Nordsee war am Kochen und riesige Wellen überforderten sämtliche Breaks in der Bucht. Auch der Point konnte seine Qualitäten nur dadurch andeuten, dass er massive Weißwasserwände ordnete. Der Tag endete hier dann in einem Finale furioso mit Hagel, Regenboden, kochender See und irrem Licht. Als dann die Sonne ganz weg war, fuhr ich mit voll aufgedrehter Heizung zurück nach Scarborough. An den South Cliffs machte ich noch einen Abstecher auf die Prinz George Promenade um zu sehen, was es hier mit der Sturmflut auf sich hatte. Die sorgte dann tatsächlich mit irren Backwash Wellen und einer leicht überschwemmten Uferstraße für viel Aufregung und Publikum.

Für mich hieß es dann einen Weg durch die höher liegenden Teile der Altstadt runter zu meinem Hostel zu finden, denn der Weg über die Uferstraße war versperrt. Dort angekommen traf ich auf die beiden Betreiber des Hostels, die zusätzliche Elektroheizer gebracht hatten, um mich und zwei inzwischen dazu gekommene andere Surfer vor einer zu kalten Nacht zu bewahren. Paula und Mike, sie Kajakerin, er Surfer, erwiesen sich erneut als äußerst freundliche Briten. Extrem freundlich sogar, denn als Mike hörte, dass ich aus Hamburg kam und noch ein Brett mieten wollte, lieh er mir einfach eines von seinen, ein wunderschönes 8,8er Takayama mit Holzlaminat. Es gibt also noch Briten, die nicht von der Xenophobie angesteckt sind.

Für mich war nun alles bereit für den kommenden Tag, an dem ich hoffte endlich ins Wasser zu kommen. Die Vorhersage war grandios, 3 Meter Nordswell mit immer noch deutlich zweistelliger Periode, mittelstarker Wind aus NNW und Sonne. Wie es dann tatsächlich wurde liest du im Bericht über die restlichen drei Tage meines Ausflugs, zu dem du hier kommst. Vorweg nur so viel: es wurde sonnig.

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Toll

matthias2 on Fr, 02/10/2017 - 21:46
ich bin gerade richtig "drin" gewesen und dann ist Schluss. Auf jeden Fall schonmal vielen Dank für die Mühe! Bin gespannt auf die Fortsetzung.
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Let love be your energy

Surfster75 on Mi, 02/08/2017 - 12:30
Moin Tom, wie immer ein genialer Artikel über den nicht ausgetretenen Pfad. Entschuldige die Klugscheißerei, aber in diesen Zeiten ist es notwendig. Statt andere Ansichten zu "verteufeln" oder "herabzuwürdigen", wäre es doch viel besser in eine offene Diskussion einzusteigen. Nur so kann eine Lagerbildung vermieden werden. Was ist dafür besser geeignet, als ein Besuch? Sieh Dich als Ambassador of the EU und das im Heartland des Brexit.
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Puuhhh, schwieriges Thema

tripmaster on Mi, 02/08/2017 - 18:26

hatte ja schon in den Monaten vor dem Referendum ein schlechtes Gefühl. War da in Wales, Gegend nördlich von London und Shropshire.
Bin da auch einmal in eine Diskussion "eingestiegen". Hatte in einem Pub meine Pfund vergessen und scherzhaft gemeint, dass sie doch endlich den Euro einführen sollen. Mit einem Schlag war die stimmung eisig. Vielleicht nur eine Episode, aus meiner Sicht aber stellvertretend dafür, wie irrational das Thema Europa (zumindest ) in England gesehen wird. Es geht in großen Teilen tatsächlich maßgeblich um Fremdenfeindlichkeit. Und die werde ich immer verteufeln und herabwürdigen. Offene Diskussion ist da sowieso nicht weiterführend.
Wozu diese grundlegende Fremdenfeindlich keit und Rassismus führt, sehen wir aktuell in den USA und sowieso in unserer eigenen Geschichte.
Das gefährlichste dabei ist, wenn man auch nur den Anschein erweckt, das zu tolerieren. Dann wird das gesellschaftsfähig und die Rassisten kommen aus ihren Löchern gekrochen.
Auf der anderen Seite ist da natürlich der auch nicht so kleine Anteil der Briten, der weltoffen und tolerant ist. Die sollte man natürlich nicht alleine lassen.

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Hallo, hattest du

Henk on Mi, 02/08/2017 - 10:20
Hallo, hattest du Gelegenheit, Filey Bay zu checken oder Flamborough Head? Wär interessant zu wissen, ob dort bei den Bedingungen was geht. H.
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Main Henk, bin über den

tripmaster on Mi, 02/08/2017 - 18:16

Main Henk,
bin über den Radius Cayton Bay im Süden und Whitby im Norden nicht raus gekommen. Letzlich wäre wohl S-Boro South Bay die beste Wahl gewesen. Der Wind war halt brutal heftig und die Temperaturen um die Null Grad haben´s auch nicht einfacher gemacht.
Aber ich war ja noch drei weitere Tage da. Bericht folgt ;=)

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Bin gespannt...

coldwaves on Mo, 02/06/2017 - 09:19

...wie es weiter ging.