M. grinst. Er reibt sich über seine braungebrannte, glänzende Glatze. M. grinst immer, permanent und wenn er nicht grinst, redet er. Er sagt irgendetwas, das auf jeden Fall nervt. Er redet auch im Wasser, er labert, wenn er auf eine Welle wartet und er kommt quasselnd wieder rausgepaddelt. Sitzt man morgens ganz friedlich im Line-up und genießt die Stille, kommt M. schwatzend an und müllt einem das Hirn zu: „Du kannst ja ganz gut surfen, aber das Board da ist nichts“, sagt er und zeigt auf mein Hydro Hull. „Alles klar“, sage ich. „Du könntest der beste Longboarder der Welt sein, ich würde ich immer noch nicht ernst nehmen.“ „Ist gut“, sage ich und paddle ein Stück den Strand runter zum nächsten Peak. M. erwischt eine schöne Linke, steigt aus und sitzt wieder neben mir. „Geile Welle“, sagt er, „haste gesehen?“ „Nee, wo denn“, antworte ich und will die erste Welle des neuen Sets nehmen, das hereinkommt. Sie baut sich vor uns auf und ich sehe einen Fischschwarm darin. Das Wasser ist klar wie in einem riesigen Aquarium. „Fische“, schreit M. „Haste gesehen?“ Ich paddle die nächste Welle an, die Nose perlt, spitzelt ein und ich gehe vornüber den Bach runter. Als ich auftauche, lacht M. sich immer noch schlapp: „Du bist aber einfach nicht der beste Longboarder der Welt.“ „Ach ja?“, sage ich, „da hab ich ja Glück, dass du dich trotzdem mit mir abgibst.“

Mein Glück. Vier Wochen Portugal, keine Uni, keine Arbeit, kein gar nichts – und dann das: M., den ich letztes Jahr schon hier getroffen habe, zieht ins Apartment nebenan und klopft schon am ersten Abend an. „Moin“, sagt er, hält mir die Hand hin und zieht sie weg, als ich sie schütteln will. Er setzt sich aufs Sofa, öffnet eine Dose Bier, es spritzt und er reibt den Schaum mit der Hand in den Bezug ein. „Was geht? Wie sind die Wellen?“, fragt er und antwortet sich selbst: „Ich war auf dem Weg hierher in Galizien. Ein Strand da war so geil mit perfekten Tubes, du wärst ausgerastet. Aber ich sag dir nicht, wo, Alter.“ „Sind das deine Bretter, da draußen“, frage ich und zeige auf den Kombi vor der Tür der Pension, „lässt du die einfach auf dem Dach, oder was?“ „Da passiert nichts, ich kenne hier alle“, sagt M. und öffnet das zweite Bier. „Prost! Trinkst du nichts?“ „Doch“, sag ich, „wollte gerade rausgehen in die Bar.“ „Gute Idee, bin dabei, Alter“, sagt M. und tritt mir leicht von hinten in die Kniekehle, als ich mich umdrehe, um eine Jacke vom Haken zu nehmen. „Ich hab noch nen Kumpel dabei“, sagt M., „aber der pennt schon, weil der irgendwas Schlechtes gefressen hat und die ganze Zeit am Kotzen ist.“ Wir gehen raus. Als wir am Auto mit der Brettern auf dem Dach vorbeikommen, erzähle ich M., dass mir heute am Strand aus meinem Rucksack der Gürtel aus der Hose, etwas Geld und sogar ein Stück Kuchen geklaut worden ist. Und das, obwohl der Peak direkt am Strand brach und ich den Rucksack die ganze Zeit sehen konnte. „Du bist halt Tourist, Alter“, sagt M. „Longboarder sind immer Touristen. Und Touristen muss man beklauen. Ist halt Gesetz hier.“

Ich kapituliere. M. erzählt ohne Pause von sämtlichen Surftrips, die er je unternommen hat, von seinen Gedanken zu allem und jeden, hauptsächlich von den Fehlern und Macken anderer, wie etwa Longboarder, Bodysurfer, Bodyboarder et cetera, und von seinen Plänen, bald aus Deutschland abzuhauen und irgendwo was aufzuziehen. Eine Surfschule oder ein Hostel. „Egal“, sagt er, „Hauptsache, irgendein Idiot macht die Arbeit für mich.“ Ich bestelle ein Bier, dann Tequila. Kopfschmerzen habe ich schon vom Zuhören.

Ich wache auf und habe noch einen Schuh an. Dafür aber einen nackten Oberkörper. Es ist erst kurz nach sieben. Mein Rachen fühlt sich an, als wäre er mit alten Socken ausgekleidet. Ich überlege nicht lange und stehe auf, packe den Wetsuit in den Rucksack, nehme das Board und gehe nach draußen. Es ist diesig und kalt. Die Boards sind vom Dach des Kombis verschwunden. „Alles klar“, denke ich, „hat M. sie doch noch reingeholt.“ Ein Galao in der Pastelaria und dann gehe ich zu dem Break etwas südlich des Orts. Hochflut ist gerade durch. Der Strand ist unberührt und feucht. Der Sand dampft im ersten Licht und die Wellen sind gut. Kein Wind. Die Sets kündigen sich weit draußen schon an, brechen aber lange nicht. Erst auf der Inside bricht ein A-Frame mit langen Schultern. Ich gehe ins Wasser und sofort sind das Gift in meinem Körper und das Gelaber in meinem Kopf neutralisiert. Tourist hin oder her, auf jeden Fall ist außer mir keiner draußen und ich sitze für eine Weile im Line-up, bevor ich die erste Welle nehme. Ich paddle nicht, sondern drücke das Board unter mir in die Welle, es schnellt aus dem Wasser, beschleunigt auf dem Face und im selben Moment springe ich auf. Bottom-Turn, dann Geschwindigkeit aufbauen, ich hebe den vorderen Fuß, nehme ihn nach hinten und drücke im Knien das Brett in die Kurve. Es dreht auf dem Punkt und ich fahre zurück zur Curl. Vor dem Schaum drehe ich mich auf dem Brett um 90 Grad und wende es wieder, kurve um eine Sektion und laufe nach vorn. Hier auf der Nase trennt mich nichts mehr vom Meer ... ein, zwei, drei Sekunden Ein und Alles, dann krosse ich nach hinten, ein paar Rail-to-Rail-Turns, dann steige ich mit dem Brett nach hinten aus. Die Welle läuft zischend auf den Strand aus. Ich lege mich aufs Deck und paddle wieder raus. Das war der beste Ritt bis jetzt. Mein Ehrgeiz blendet sich aus. Alles, was jetzt noch kommt, ist Bonus.

Zwei Stunden später sitze ich am Strand und sehe den anderen Surfern zu, die nach mir rausgegangen sind. M. kommt über die Promenade auf den Strand. Jemand ist bei ihm, wahrscheinlich sein Kotzkumpel. Sie nähern sich. „Morgen. Was ist los, habt ihr verpennt?“ „Nee, Alter. Scheiße, unsere Bretter sind weg.“ „Hab ich gesehen, ich dachte, ihr hättet sie doch noch mit reingenommen. Hast du schon was gehört, wer das gewesen sein könnte? Du kennst doch alle hier“, sage ich und muss mir ein Grinsen verkneifen. „Verarsch mich nicht, und dein Longboard will ich mir auch nicht leihen.“ „Ist ja gut ... die Wellen sind eh nur ... ähm ... fast perfekt.“ M.s Kumpel sah immer noch grün aus im Gesicht. „Wir kaufen uns jetzt neue Boards“, sagte er und die beiden ziehen los. Ich gehe für die zweite Session ins Wasser.

Am nächsten Tag ist absoluter Riesenswell. Am Kap unterhalb des Orts brechen sich mächtige Sets an den Klippen. Viel zu groß für mich hier an der offenen Westküste. Ich fahre zum Gucken nach Banzei Beach, einen Spot eine Stunde Fahrt weiter nördlich. Die Welle bricht extrem hohl und schnell und ist nur was für kurze Bretter oder Bodyboards. Am Strand treffe ich M. und seinen Schatten. Beide haben neue Bretter. M. geht raus. Sein Freund, der keinen Namen hat, wachst sein neues Minimalibu. Ich stutze: „Gehst du mit der Planke raus?“ „Ja, sicher, hab ich gestern gekauft“, sagt er und bringt noch mehr Wachs auf. Das Deck ist schon dick versiegelt. „In den Wellen brauch ich guten Grip“, sagt er. „Bist du so was schon gesurft?“, frage ich und sehe auf das Set, das gerade bricht. Die Welle ist krass schnell, eigentlich ein Close-out, den man manchmal mit Glück stehen kann. Der ablandige Wind hält das Face einen Moment steil aufrecht, dann wirft sich die Lippe nach vorn, aus der Tube kommt Spit. Die Surfer gehen mindestens so oft over the falls oder werden in der Tube gefressen, wie sie es schaffen, rauszukommen. Die Welle ist so hohl, da könnte ein Auto durchfahren. „In Sri Lanka bin ich Achtmeterwellen gesurft“, sagt er. „Alles klar“, erwidere ich, „dann lass mal sehen.“

Er trägt sein Board zum Wasser, stolpert über die Leash, die zwischen seinen Beinen baumelt, fängt sich und steigt, ohne darauf zu achten, ob ein Set kommt, ins Wasser. Der stirbt, denke ich. Der ist Geschichte. Er legt sich auf sein Brett und wird, ohne zu paddeln, von der Strömung rausgetragen. Die Welle bricht in der ersten Linie. Die Surfer sitzen nur zehn Meter vom Strand entfernt. Jetzt macht er einen Armzug und ist draußen. Dann ein Set. Er wendet sein Board, will paddeln, da ist die erste Welle unter ihm durch, die zweite hebt ihn an, er will einfach aufstehen, und verpasst auch diese Welle. Die nächste nimmt ihn fast mit, er bleibt sitzen, sieht von oben herunter in den Abgrund vor der Welle zieht zurück. Das war das Set. M. hat eine der Wellen genommen und kommt an Land. Er blutet im Gesicht. „Bin über den Grund gedrückt worden, heftig da draußen“, sagt er. „Sieht so aus. Sag mal, dein Kumpel, weiß der, was er da macht?“ „Nee, aber der hat immer Glück.“

Wir sehen zu, wie er, genau wie vorhin, beinahe von der Lippe mit nach vorn genommen wird – im Sitzen auf seinen Board. M. und ich sehen uns an. „Wenn der so über die Kante geht , amputiert der sich den Arsch“, sage ich. M. pfeift und signalisiert seinem Freund, aus dem Wasser zu kommen. Der reagiert nicht und paddelt ein Stück weiter raus. Und wieder zieht ein Set unter ihm durch, ohne ihn mitzunehmen. Es sieht aus, als driftete er in seinem ganz eigenen Element, unberührt von den Naturgewalten um ihn herum. Gerade so wie an Land, wenn er von seinen Achtmeterwellen auf Sri Lanka erzählt und man weiß, dass die Realität für ihn keine Kategorie ist. M. zeigt auf mich und sagt: „Was los? Hast du deine Tage oder warum gehst du nicht raus?“ Ich zeige auf sein Gesicht und sage: „Nix Tage, Baby, ich steh nur nicht so auf Prügel.“ „Das ist der Unterschied zwischen uns“, sagt er, „du stehst dumm rum und ich erlebe was. Darum fährst du auch Longboard, weil du Angst hast, mal richtig abzugehen und so.“ „Ist gut, Meister“, sage ich, „hast ja Recht.“ In der Zwischenzeit ist sein Kumpel in einer Setpause an Land gedriftet und kommt zu uns. „Hast du nicht gesehen, dass ich dich rausgewunken habe“, fragt M. „Nö, ich dachte, du feuerst mich an“, antwortet er. M. und ich müssen lachen, das erste Mal gemeinsam über etwas und nicht über den jeweils anderen.

„Bleib mal lieber am Strand und tröste den Neunfußhelden hier“, sagt M. und nimmt sein Brett. Er geht zur Wasserlinie, wartet den Shorebreak ab und springt dann ins Wasser. Mit sechs Paddelzügen ist er draußen. Die Welle kommt, M. gleitet an, springt auf, zieht in die Tube und kommt nach einer Ewigkeit irgendwo anders jenseits der Idioten wieder raus, wo ich ihn seit 15 Jahren nicht mehr gesehen habe.

(Wird fortgesetzt)

Bild von tripmaster

great stuff!

tripmaster on Do, 10/21/2010 - 16:13

perfekt um das trübe Wetter in landlocked hamburg zu überstehen.

Bild von boerni

Bittö...

boerni on Mo, 10/18/2010 - 20:39

nicht aufhören! Was für ein granaten Blog!!!! Ich glaub' ich kenne "M."!!! :D

Freu mich auf den nächsten!

Gruß Börni