Den Tag verbringen wir an der Steilküste am Kap. Zehn Meter über dem Wasser. Die Dünung biegt um die Landzunge und rollt auf die Felsen zu. Die Gischt explodiert am Kliff und schlägt noch einmal meterhoch über die Kante der Steilküste hinaus. Das abprallende Wasser schäumt gegen die nächste Welle, die von See kommt, und die beiden vereinen sich zu einer gewaltigen Back-wash-Welle, deren Lippe auf Augenhöhe vor uns steht, um dann erneut mit aller Kraft gegen die Klippe zu schlagen. Noch 50 Meter weit landeinwärts wird mit jeder Welle Luft aus den Blowholes gepresst. Es klingt wie ein startender Airbus. Ich werfe einen faustgroßen Stein in der Luftstrom und er wird nach oben weggeschleudert wie ein Gummiball.

Früh am Abend in der Bar am Platz prahlt Luis damit, dass die Wellen hier in der Gegend wirklich groß, ja echt gigantisch werden könnten. Sein Gesicht glüht nach von der Sonne, da er heute als einer der wenigen surfen war an irgendeiner geheimen und geschützten Bucht, wo die Wellen klein genug waren, um sie zu reiten. Er überbietet sich mit Höhenangaben von Wellen, die er an der Westseite des Kaps hat brechen sehen, vielleicht weil er mir komischem Kerl aus dem Norden, der seit vier Wochen hier rumhängt und morgens immer als Erster in den Wellen ist, nicht gönnt, das krasse Schauspiel heute einfach so als Tourist erlebt zu haben. Später dann, nach was weiß ich wie vielen von den fuseligen Tequilas, die so schmecken, als würden sie hier im Keller selbstgebrannt, sagt er plötzlich ganz beiläufig, dass er die Wellen selbst noch nie so mächtig gesehen hat wie heute. Und um seine naturgegebene Autorität auszudrücken, fügt er in seinem naiven, aber wahren Englisch hinzu, dass er hier geboren worden ist: „I burn here!“

Und da hat er Recht. Er ist jünger als ich, sieht für 70 aber alt aus: Sein Gesicht gleicht einem alten Lederlappen, ausgewrungen und in der Sonne getrocknet, zerfurcht von Falten, die sich über seine Mimik legen. Die dünne Haut hat keine einheitliche Farbe, sondern schimmert in einem wechselnden dunklen Grau. Das hat ihm die Sonne angetan. Déformation professionnelle: Er ist Fischer. Jeden Morgen fährt er mit seinem Vater auf See. Die beiden gehören zu den Letzten, die nicht mit Netzen fischen, sondern mit Langleinen.

„Es gibt fast keine Fische mehr“, sagt er, weil die großen Trawler aus Dänemark oder Japan die Gegend ausgeräumt hätten. Hier ums Kap gibt es die besten Fischgründe des Landes. Ihnen bleibt nach der harten Arbeit auf See immer weniger von dem, was sich zu viele ungleich untereinander aufteilen. Sie legen Hunderte Meter lange Leinen aus, die alle zwanzig Zentimeter mit einem Haken versehen waren. Zuerst fischen sie nach Ködern. Dann nach der ersten Hälfte der Nacht wird jeder Haken mit einem kleinen Fisch bespickt und die Leinen ausgelegt. Noch ein paar Stunden später holen sie die Leinen ein, an denen meist gerade einmal so viel Beute hängt, dass sie den Diesel für das Schiff zahlen können. Am Vormittag fahren sie zurück in den Hafen und Luis geht surfen. Schon jetzt zehn Stunden auf dem Wasser, hängt er regelmäßig noch zwei Stunden dran. Jeden Tag bis auf einen in der Woche geht das so, und er entfernt sich nie weiter als ein paar Hundert Meter von der Küste. Er sagt, „hier ist der schönste Ort der Welt“, und er sucht gar nicht erst nach einer Begründung, die er nicht hat und die er nicht braucht.

Ich muss raus, Luft, denke ich, und stehe vor der Bar, die jetzt total überfüllt ist. Selbst der kleine Platz davor ist jetzt belebter als tagsüber, wenn die kleine Plastikbude in der Mitte geöffnet ist, in der Postkarten verkauft werden, Eis und Filme an die Touristen, die jeden Tag um dieselbe Zeit aus den Apartmentsiedlungen im Osten herangekarrt werden. Alle paar Tage kaufe ich eine Zeitung, die es aus der Heimat bis hier geschafft hat, und bemitleide den Mann im Inneren der Bude, auf die die Sonne gnadenlos knallt. Die Jungs auf ihren Rollern ohne Auspuff rasen um den Platz. In das Pflaster eingelassen ist eine Windrose, die nicht nur dem Platz seinen Namen gegeben hat, sondern die alles prägende Kraft hier in der Gegend symbolisiert. Es heißt, dies sei die windigste Ecke des Landes, und die Surfer sind täglich auf der Suche nach einer windgeschützten Stelle, wo die Wellen sauber laufen. Für jede Wind- und Wellenrichtung gibt es irgendwo eine Bucht oder ein Kap, hinter dem ganz andere Bedingungen herrschen als schon eine Bucht weiter, wo die Elemente ungebremst aufs Land treffen. All das muss man wissen, wenn man hier überhaupt surfen will. Wer sie findet, sitzt jeden Tag mit denselben Leuten im Wasser. Ein kurzes Nicken, sonst nichts. Das gemeinsame Geheimnis trägt jeder für sich.

Hinter der Bar beginnt ein Schuttgelände. Die Gebäude sind meist nicht verputzt und Steine und Mörtel liegen zwischen den Agaven, von denen die viele an ihren riesigen Blütenstengeln krepiert sind, die sie wie ein Denkmal ihrer einzigen Erektion noch in die Höhe halten. Nach ein paar Schritten stehe ich an der Steilkante der Bucht. Unter mir liegt der Ortsstrand, eine halbmondförmige Bucht, die von 30 Meter hohen Klippen gerahmt wird. Im Mondlicht sehe ich den Schaum der Wellen, die sich in langen Abständen brechen, die Welle selbst ist gar nicht zu sehen im klaren, jetzt schwarz wirkenden Wasser. Die Schaumlinien laufen von einem Punkt draußen wie ein gleichschenkliges Dreieck breiter werdend auf den Strand zu. Bricht die Welle, dauert es ein, zwei Sekunden, ehe der Lärm es hoch bis zu mir schafft. Er wird von den Seiten der Klippe hin und her geworfen, bis er oben über den Rand der Steilküste in der feuchten Nachtluft fortgetragen wird. Ich nehme mir vor, auch morgen wieder, in alter Surfstreber-Manier, als Erster im Wasser zu sein. Es sind nur noch ein paar Stunden bis zum Morgen und der Swell wird halten. Ein kalter Schauer läuft mir den Nacken herunter: „I burn here!“ Was für eine Vorstellung.

 

(Wird fortgesetzt)

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Und ohne Ahnung

Henk on Do, 08/26/2010 - 14:21
Und ohne Ahnung, bin Anfang der 90er nach Portugal gefahren, weil im Atlas so schöne Kaps zu sehen waren. Dahinter hab ich Wellen vermutet, die auch für weichgespülte Nordseesurfer taugen. Bingo! Wenn ich mal Scannen lerne, gibt es auch ein analoges Foto ...
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1995! Unvorstellbar,

Til Stranden on Do, 08/26/2010 - 09:59
1995! Unvorstellbar, Surftrips ohne Internet und Digitalkamera!
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große Literatur!

tripmaster on Mi, 08/25/2010 - 17:46

hat mir gerade den Tag gerettet.