Das Video stammt aus Aufnahmen aus dem Januar. Der Januar zeichnete sich durch konstante 15-20°, Sonne satt und – wie man sieht – untypisch kleine Wellen aus….
…oder warum der „Endless Winter“ in Lisboa der Traum eines jeden (Nord)Surfers ist!
In der ersten Surfeurope, die ich mir (schätzungsweise im Frühjahr 2003) zugelegt habe, gab es einen Artikel über Lissabon. Der Begann in etwa so: „Stellt euch vor eines Morgens kommt euer Boss wutschäumend zu euch, weil ihr unglaubliche Scheiße gebaut habt. Anstatt gefeuert zu werden, werdet ihr versetzt. In irgendeine Hauptstadt Europas, welche ist egal – das könnt ihr euch aussuchen. Für einen Surfer kann es da eigentlich nur eine Wahl geben…“ – ungefähr vor der Wahl stand ich im Frühling 2011 auch (nur ohne die Sache mit dem „wutschäumendem Boss“). Zur Wahl standen Dublin oder Lissabon. Dublin wäre für mein Studium richtig gewesen – aber was soll‘s. Für Surfer kann es in Europa eigentlich nur eine Wahl geben. Ganzjährig warme Temperaturen im Wasser und an Land, eine traumhafte Stadt und, nicht ganz unwichtig, vom Stadtzentrum aus ist man in 15-20 Minuten am Strand, oder kurz: Ein Jahr Lissabon!
Lissabon hat drei wesentliche Surfzonen: Costa da Caparica, erinnert ein wenig an Nord-Jytland mit vielen kleinen Molen und recht sanft brechenden Wellen. Nebenbei ein ziemlich hässlicher Ort, viele Brasilianer, Menschen die in Blechhütten (!!!) wohnen und eine seltsam hohe Autoaufbruchrate und Caparica ist der Strand, der von der Innenstadt am schnellsten zu erreichen ist (12km). Ach ja und crowded ist es auch, solange man nicht 5km weiter nach Süden fährt. Bei 2,5 Millionen Menschen in 50km Umkreis kommen schon eine ganze Menge an Surfern zusammen. Die Wellen sind immer ein ganzes Stück kleiner als an der Westküste, aber dafür weniger windanfällig.
Die zweite Surfzone ist die Westküste: Guincho, Praia Grande und noch so der ein oder andere Beachbreak bis hoch nach Ericeira, das 45 Minuten Fahrt von Lissabon entfernt ist. Ericeira zählt eigentlich auch noch zum erweiterten Umkreis Lissabons. In der Regel sind das die Spots für den Sommer oder die Riffe und Points von Ericeira für die perfekten aber nicht zu großen Tage im Winter. Das bedeutet: Massive Crowds und ein hohes Surflevel. Ziemlich windanfällig, powervolle Wellen (grade Praia Grande und Ericeira) und im Verhältnis zu den Lissabonner Vororten ein recht hübscher Küstenverlauf.
Santo Amaro, Linha do Estoril, mit Lissabon und der Tejomündung im Hintergrund. Der Point lief im Winter um die zehn Mal – an diesem Tag ist ein gewisser Garett McNamara vor Nazaré eine „angeblich“ 27 Meter Welle geritten (klar, in deinem Traum!)
Und die dritte Zone ist der Nukleus des Portugiesischen Surfens, mein momentaner Wohnort und der Ort, wo sich ganz Portugal versammelt, wenn die dicken Winterswells reinlaufen: Die Linha do Estoril, nach Süden ausgerichtet und teilweise an die Côte d’Azur erinnernd. Hier wohnen Politiker, Prominente, Sportler und eine ganze Menge an Surfern, die in diesen Reichtum eigentlich nicht reinpassen. Aber das ist der Platz in Portugal, wo Surfen zur Normalität gehört und neben Hossegor wohl das höchste Surfniveau in Europa zu finden ist. Ein Ort, wo sich niemand beschwert, wenn man barfuß eine Pasteleria betritt, oben ohne Auto fährt (bei Männern – ist immer noch ein katholisches Land) oder wo einfach jeder 3. oder 4. wie die Obersurfatze aussieht. Warum? Auf 15 km (wenn man Guincho an der Westküste mitzählt) gibt es dutzende rechtslaufende Pointbreaks, Reefbreaks, Slabs und den ein oder anderen Beachbreak, mit dem Highlight Carcavelos.
Carcavelos gehört bei den richtigen Bedingungen wohl zu den besten Beachbreaks Europas. Neben dreckigem Wasser bedeutet das bei Nord- oder Ostwinden und ordentlichen Westswells folgendes: Bei kleinen Wellen massivste Crowds – bei 2-3 Fuß sind auf einem Kilometer Strand 300-400 Surfer im Wasser (ich zähle jetzt die 200 Bodyboarder nicht mit). Das Surflevel ist sehr gemischt und bei solchen Bedingungen würde ich sagen bin ich besser als 90 Prozent der anderen im Wasser. Dafür gehen die übrigen 10 Prozent total ab. Mit einem Vasco Ribeiro, Frederico Morais oder auch gelegenlich mal Tiago Pires oder Nico von Rupp einen Peak zu teilen, mag eindrucksvoll sein. Man muss aber wirklich lernen sich durch zu setzen, sneaken, bewusst reindroppen und sich Wellen manchmal einfach nehmen – sonst surft man nicht all zu viel. Bei großen Swells bedeutet Carcavelos weniger Crowds, da Portugiesen das nicht so mit großen Wellen haben. Dazu absolut powervolle Wellen und heftige Tubes, die denen in Supertubos in nicht sehr viel nachstehen.
Oben meine Wenigkeit in Carcavelos im Januar, unten in Torre im November, als wir noch vernünftig große Swells hatten. Torre ist der Spot wenn es in Carcavelos zu groß ist – ich glaube nach der Morgensession sind wir nachmittags nahezu alleine Carcavelos gesurft. Der Grund waren Freaksets in Doubleoverhead mit Lippen die Guillotinen glichen. Das (neue) Board hatte zu dem Zeitpunkt fünf Sessions erlebt, nach der Nachmittagssession war die sechste die endgültig Letzte… :(
Das gute an den Crowds ist, dass ich bei dem Oberlocal hier wohne – von daher kenne ich inzwischen fast jeden, den man kennen muss, damit einem kaum noch Leute reindroppen und bin bestens in die „Carcavelos-Posse“ integriert (oder es lag daran, dass ich im Herbst phasenweise einen Irokesenhaarschnitt hatte). Das mit der Attitude und „Respect the Locals“-Ding habe ich glaube ich auch erst hier so richtig verstanden, da das hier für europäische Verhältnisse doch recht harte Züge hat. Grundsätzlich herrscht totale Anarchie in den Lineups, wobei da eine gewisse Ordnung zu erkennen ist und man in den Lissaboner Lineups auch mal den ein oder anderen Blonden („Os bifes“) gewohnt ist, so dass es hier noch erträglicher ist, als sich in Supertubos mit Bodyboardern zu prügeln – vorausgesetzt man surft gut (es gibt diesen „Test“ hier wirklich: Du bekommst wenn man dich nicht kennt eine der kleineren Setwellen, wenn du die verhaust, probier es nächste Woche nochmal…). Localismus nimmt aufgrund der immensen Crowds teilweise sehr seltsame Züge an und in der Regel wird auf dem Wasser viel gepöbelt und es gibt eine Rangordnung, wer welche Welle bekommt – an guten Tagen wird an der Linha regelrecht um Wellen gekämpft, was manchmal echt anstrengend und nervenaufreibend sein kann, wenn man mit 30 anderen einen Peak teilt, die alle surfen können und die nächste Welle genauso wollen wie du. Ein Amerikaner, der hier seit einem Jahrzehnt lebt und Anfang der 90er mit einem gewissen Herrn Slater zusammen in der Nationalmannschaft war, sagte mal zu mir, dass er müde geworden sei, den Portugiesen zu erklären, dass es auf dem Wasser gewisse Regeln gibt (der Typ hat eine Menge an Gewicht zugelegt, aber trotz des Übergewichts ist der in hohlen Bedingungen unglaublich gut – muss wohl am Training hier liegen, bei den Wellen machen die 25kg Übergewicht auch nichts mehr aus).
Layback in Carcavelos und Off-the-Lip an einem Semi-Secret (bedeutet in Lissabon nur zehn Leute am Peak) südlich von Caparica
Aber die Wellen sind es an guten Tagen einfach wert. Vor drei Wochen an einem Wochenende war einer dieser Tage: 6-8ft top-to-bottom, overhead, perfekte A-frames mit spittenden Tubes und nur etwa 100 Leute auf dem Wasser. Ich war glaube ich 4 Stunden am Stück auf dem Wasser, weil es einfach zu gut war. Die erste Stunde hatte ich nahezu nichts (oft falsch gesessen, mindestens zwei Leute tiefer sitzend,…). Dann endlich mal richtig gesessen, eine rechte, ein schneller Drop, tiefer Bottom-turn, wieder an die Wand rangezogen und mit dem hinteren Fuß gestalt…drin, stand-up – komplett grade durchgesteckt. Ich war ziemlich tief und das eine ganze Weile. Stalen war auch nicht mehr nötig, da die Dinger so verdammt schnell sind. Ich weiß nur noch dass ich mit dem Spit rausgekommen, über die Schulter mit einem Pseudo-Air rausgesprungen bin und dann erst mal fünf Minuten brauchte bis meine Hände nicht mehr zitterten. Was das Ganze dann noch besser machte, war, dass ich nach der Tube bei zwei Freunden saß, als ein weiterer rausgepaddelt kam und nur meinte: „Warst du das grade, der die krasse Tube auf der Rechten hatte“ und ich nur grinste (ich glaub ich grinste eh) und ihm meine zitternden Hände zeigte. Daraufhin ein Anderer: „Alter, du sabberst ja voll – mach mal den Mund zu!“. In der Session hatte ich dann noch eine Hand voll weiterer Tubes, aus denen ich raus gekommen bin. Wenn man hier eins lernt im Winter, dann ist es Tubes surfen. Der Rest meines Surfens mag sich (zu) wenig weiterentwickelt haben, aber in hohlen Bedingungen surfe ich teilweise echt so wie ich mir das vorstelle. Es ist einfach das beste Gefühl in großen Wellen richtig zerlegt zu werden – nach der Session wenn der Ertrag stimmte jedenfalls. Zurückziehen gilt nicht ;)
Oben Carcavelos, unten Supertubos (das wir mit nur 5 anderen gesurft sind – wie häufig kommt das vor?) an dem ominösen Wochenende mit der 20 Sekunden Periode…
Wie schon erwähnt lebe ich hier bei dem Oberlocal direkt in Carcavelos, allen nur als Dapin bekannt. Er war einer der ersten Europäer, der außerhalb Europas bekannt wurde und auch mal irgendwann Anfang der 90er Heats gegen Sunny Garcia oder Benji Weatherly gewonnen hat. Das ist teilweise – nicht nur wegen der Crowds – echt super, mit so jemandem regelmäßig surfen zu gehen, der trotz seiner 45 Jahre wirklich unglaublich gut surft und jetzt noch zu den Besten Surfern des Landes gehört. Das Wissen aus über 35 Jahren surfen und 30 Jahren Pro-Surfer-Dasein bietet immer Gesprächsstoff. Bretter, die Worldtour, Wellen, wo und wann welche Bedingungen sind und was man wie machen müsste…in dem Bereich weiß er alles. Aber er ist immer noch Portugiese und grade gepaart mit dem Surfer-Dasein, ist das manchmal nicht ganz einfach. Zumal ich hier in einer 12-er oder 15-er WG wohne. Ich habe den Überblick verloren. Neben einer Hand voll Freunde, die alle im oder im näheren Umfeld des Hauses wohnen und die hier gemeinhin als FOKKERS bekannt sind, wohnen im Haus überwiegend Studenten aus X Ländern, etwa die Hälfte surft exzessiv (ich glaube nur drei surfen gar nicht). Man muss sich das ungefähr so vorstellen wie „L’auberge espanhol“, nur am Strand und in Portugal sowie mit Skatebowl im Vorgarten und Fitnessstudio im Keller. Man bekommt viele andere Mentalitäten und Menschentypen mit und teilweise werden Klischees wirklich eins zu eins bestätigt: Samba-tanzende Brasilianer, unordentliche Portugiesen und laute Spanier, stolze Basken, fanatisch um Ordnung bemühte Deutsche, metrosexuell gekleidete Italiener, Türken, Franzosen, Skandinavier, Benelux-Staatler, Osteuropäer oder Amerikaner. Das ist super, aber nicht immer ganz einfach und manchmal wäre ein wenig Ruhe (grade beim skypen mit der Freundin, Familie etc…) doch ganz angenehm….
„Da House“ und der alltägliche Trott von uns „Fokkers“ in und um Lissabon
Apropos Klischees und Vorurteile (auch mal ganz interessant von einer Syrerin oder Türkin deren Klischees über Algerier, Ägypther oder auch die eigenen Landsleute zu hören ;) ) – die Portugiesen. Ich habe jetzt über den Daumen zwei Jahre in dem Land verbracht und habe mich mit der Mentalität zurecht gefunden und weiß in der Regel wie man welche Probleme hier lösen muss. Zu schnell gefahren und in eine Polizeikontrolle geraten – ohne Papiere. Kein Problem, ich jammere denen vor, dass mir ständig das Auto aufgebrochen wird (in Wirklichkeit ist das ist bis jetzt nur einmal passier und zwar im Oktober. Ich fahre seit dem mit einem unabgeschlossenen Auto durch Lissabon…geht auch) und zeige die fehlenden Schlösser. Das noch in fließendem Portugiesisch, mit einem Lissabonner Akzent und das als Deutscher. Läuft. Autobahnmaut – total überbewertet. Einfach über die ViaVerde fahren, als Ausländer wird man wahrscheinlich eh nie erwischt, da man in Portugal grade ganz andere Probleme hat. Das Land ist strukturell und wirtschaftlich wirklich am Ende. Das mag zum Einen an einer verfehlten Wirtschaftspolitik der 90er Jahre liegen, der Hauptgrund ist aber die Mentalität: Es wird sich ständig darüber beschwert, dass alle Politiker korrupt sind und man deswegen keine Steuern zahlen würde und irgendwie fast alles unter der Hand läuft (Autoreparaturen oder die Miete laufen ohne Rechnung und in Bar ab…IMMER!). Wenn aber niemand Steuern zahlt…naja, die Staatsfinanzen könnten auch an solche Dingen liegen. Der Staat ist in seinen Strukturen vollkommen Marode, das öffentliche Leben und die Arbeitswelt geprägt von Faulheit, Inkompetenz und eine unglaubliche Ineffektivität. Bevor jemand mal daran denkt gewisse Arbeitsprozesse zu optimieren wird sich lieber beschwert, auf Merkel und die deutsche Fremddiktatur des Staates geschimpft, als sich an die eigene Nase zu fassen und einfach mal anzufangen zu arbeiten. Dann gibt es noch Streiks, die eher als „heute arbeiten wir nicht-Tag“ angesehen werden. Wenn das dann auf dem Donnerstag liegt, ist der Freitag ein Brückentag den man sich frei nimmt. Langes Wochenende (ich hatte eigentlich einen Flug morgen früh um 7:10, der wurde um ein paar Stunden verschoben. Am Flughafen wird gestreikt...). Das ist leider in allen Bereichen so. Leider auch in der Uni – hätte ich fast vergessen, ich bin ja zum studieren hier…
Das Niveau an portugiesischen Unis ist – bis auf Ausnahmen – unterirdisch. Würde keine Anwesenheitspflicht bestehen (70 Prozent…das fällt schwer diese Hürde nicht zu reißen), würde ich gar nicht mehr zur Uni gehen, weil es verschwendete Zeit ist. Der „Unterricht“ findet in Klassen statt, bedeutet 45 Minuten Frontalunterricht. Das muss man sich etwa so Vorstellen wie in der 11. Klasse und vom Niveau her ist da auch kein Unterschied. Es werden pro Fach zwei Tests, eine Hausarbeit und am Ende ein Examen verlangt. Ich glaube, dass ich mich auf den ersten Test noch vorbereitet habe, was zur Folge hatte, dass dieser dann im Semester rumgezeigt wurde, was für eine tolle Arbeit ich doch abgeliefert hätte und wie andere sich daran ein Beispiel nehmen sollten (ich durfte danach ein Interview für ein Architekturmagazin im portugiesischen Fernsehen geben – ist kein Scherz!!). Mein Portugiesisch ist sehr gut, wird mir immer wieder gesagt, evtl. C1-Niveau, aber das kann wirklich nicht sein. Zumal ich hier Dinge abliefere, die mir in Deutschland absolut peinlich wären. Aber hier sind das wirklich die besten Arbeiten der Klasse. Das liegt nicht daran, dass Portugiesen dumm sind. Nein, es wird in diesem Land einfach zu wenig gefordert – sei es im Job, bei der Einhaltung von Terminen oder Verkehrsregeln oder an der Universität. Man bekommt am Anfang des Semesters eine Moralpredigt gehalten, wenn man nicht richtig arbeite und nicht Angst vorm Scheitern hätte, keine guten Leistungen erzielen könne. Dann sind alle ganz fleißig, stöhnen einem vor wie lange sie sich auf die Klausur vorbereitet hätten (Während meine Sorge eher ist, dass Datum nicht zu vergessen. Ich glaube nach dem ersten Test habe ich jeden weiteren und alle Examen komplett ohne eine Vorbereitung geschrieben…ich verstehe es nicht) und dann kommen dabei Dinge raus - wie gesagt, es ist vom Niveau her alles andere als akademisch. Und was ich von meinen Mitbewohnern höre, ist dies an anderen Unis nicht anders.
'Cheira bem, cheira Lisboa' - die Innenstadt ist ein absoluter Traum, quicklebendig und wie gemalen...
Trotz der allgegenwärtigen immensen wirtschaftlichen Probleme, ist Lissabon eine Traumstadt. Flair, Klima, die freundlichen udn herzlichen Menschen, unendlich viele Bars und günstige Restaurants, das Licht und eine unheimlich entspannte Lebensweise wiegen dieses auf, sofern man nicht in einem portugiesischen Umfeld arbeiten muss…
Die Mentalität des „mache ich morgen“, „Probleme lösen sich von alleine“, „Arbeit ist anstrengend und lästig“, „passt schon“ oder „mehr oder weniger (mais ou menos)“ hat sicherlich seine Vorteile. Das Leben in Lissabon ist ein absoluter Traum. Alles läuft relativ locker und entspannt ab. Da sich das aber auch im Bereich der Arbeitswelt fortsetzt, kann man die katastrophale wirtschaftliche Situation hier relativ leicht erklären. Zum Anfang des Jahres wurden beispielsweise die Steuern auf Nahrungsmittel um zehn Prozent erhöht. Damit ist Einkaufen bis auf Fisch und Fleisch inzwischen teurer als in Deutschland. Der Mindestlohn beträgt allerdings etwas mehr als 500€ pro Monat und dieser wird gezahlt. Der Durschnittslohn liegt ungefähr bei knapp 800€ im Monat. Mal rechnen: Eine Person hat eine kleine Wohnung (350€), Essen (200€), ein Auto (200€) – bleiben noch ein paar Euro für Sonstiges. Und jetzt stellt euch mal vor, diese Person hätte Familie. Ich hatte phasenweise auch überlegt mich hier nach Jobs um zu gucken. Ich hatte ein Angebot (dafür hätte ich allerdings das Studium erst mal aufs Eis legen müssen) nur 5km entfernt vom Meer – 850€, netto. Danke, nein - dafür habe ich nicht fünf Jahre studiert.
Kleine Spaßwellen an der Costa. Von der Uni aus in 15 Minuten erreichbar und auch mal gut für eine schnelle Session zwischen den Vorlesungen zu erreichen...
Bei dem ganzen Gemecker könnte man sich jetzt natürlich fragen, warum Winter in Lissabon der Traum eines jeden Nordsurfers sein sollte? Schlecht isolierte, schnell auskühlende Häuser, Chaos im öffentlichen Leben, ein schwaches Bildungssystem, hohe Diebstahlkriminalität, wenig Perspektiven auf einen gut entlohnten Job und dann kommen da noch Wasserverschmutzung und Crowds sowie eine gehörige Portion „Attitude“ auf dem Wasser dazu. Naja – ich will es versuchen in wenigen Sätzen zusammenzufassen:
Im Oktober fingen der Regen und die guten Swells an, Carcavelos lief nahezu täglich. Die Temperaturen sanken auf 15-20° im November. Ich konnte nahezu jeden Tag zwei Mal vor der Haustür surfen. Mitte Dezember war dann der letzte Regentag bis Februar (!!!), wir hatten konstante Ostwinde, die Tagestemperaturen lagen bei 15°, nachts um die 5° - das Wasser hat sich auf (für Portugiesen zu kalte) 14° abgekühlt, bei konstanten Westswells, Licht bis sechs Uhr abends. Im Januar dasselbe Bild, aber bis zu 20°…wir waren teilweise alleine surfen (es ist ja Winter und so furchtbar kalt – da kann man nicht surfen), saßen danach noch oben ohne am Strand. Im Februar war es dann wirklich mal kühl, Tagestemperaturen um die 10-12°, meist sonnig. Und wieder dickere Swells bei anhaltenden Ostwinden. Im Februar waren wir dann wirklich oft alleine surfen (ich habe schon Angst vor dem Sommer, wenn ich an derselben Stelle bei Kackwellen mit 200 Leuten statt 2 sitzen werde), weil es da ja für die Portugiesen wirklich zu kalt war. Nebenbei hatte ich von Ende Dezember bis Mitte Februar frei (die paar Examen zählen nicht). Ich war verhältnismäßig wenig surfen, oft „nur“ einmal am Tag, aufgrund der Temperaturen. Dafür aber den ganzen Winter über mit nie mehr als einem 4/3er, ohne Booties/Haube/Handschuhe. Das mag daran liegen, dass ich endlich mal einen guten Anzug habe, oder aber einfach daran, dass ein guter 4/3er hier ausreicht, wenn man sonst zur selben Jahreszeit 6-7bft onshore bei 1° Wasser und 3° Luft gewöhnt ist. Kurzum, die Crowds im Winter minimieren sich, man hat wirklich perfekte Wellen, fast täglich bei mehr als angenehmen Temperaturen. Dazu eine wunderbar interessante Stadt im Hintergrund und wenn man hier als Erasmusstudent ist, kann man auch andere „Vorzüge“ genießen (die Stadt ist voll von Austauschstudenten/innen…besonders „Inninen“ die gerne und ausgiebig abends ausgehen und bei den lächerlichen Anforderungen an portugiesischen Unis fühlt sich das hier eher an wie Ferien – naja, und dann mit blonden Haaren. Kennt ihr den Spruch „Das ist wie Angeln aus dem Eimer“? … ich schweife ab ;) ).
Ich kann nur jedem empfehlen ein Erasmussemester oder gar ein ganzes Jahr zu machen. Wenn man irgendwie die Möglichkeit hat nach Lissabon zu kommen – ja, auf jeden Fall! Die Uni ist eher das, was man zwischen den Surfsessions macht (es gibt Wochen, da fahre ich z.B. Montag nach Ericeira, surfe Ribeira D’Ilhas oder Coxos mit einer Hand voll Leuten, komme abends zurück und habe noch 3-4 Stunden Uni, Dienstag kann ich zwischen den Vorlesungen surfen gehen, Mittwoch habe ich frei, Donnerstag erst ab Mittag Uni und Freitag mittags zwei Stunden). Es ist also trotz Uni möglich pro Woche 13-14 mal aufs Wasser zu kommen. Wenn man das denn durchhält (Ich schaffe es nicht. Ich komme so in der Regel 7-10 mal die Woche aufs Wasser. Ich bin der festen Meinung, dass es keine Großstadt in Europa gibt, wo das möglich ist. Ganzjährig. Es gibt immer irgendwo Wellen – egal ob 25 Fuß oder 1 Fuß – immer!).
Ich bin jetzt noch ein paar Monate in Lissabon. Im Sommer versuche ich den Crowds in Frankreich, Nordspanien oder im restlichen Portugal zu entfliehen und werde eine ganze Menge Freunde besuchen (ist dann quasi der Gegenbesuch - ich glaube seitdem ich hier bin waren um die 40 Leute bei mir zu Besuch. Der Vermieter fand dass ab fünf gleichzeitig nicht mehr wirklich witzig...). Ich würde auf jeden Fall wieder nach Lissabon gehen - was besseres hätte mir nicht passieren können, als hier zu landen. Auf der anderen Seite bin ich nach zeimlich viel Zeit in Portugal durch mit dem Land. Ich werde sicherlich immer wieder kommen, habe eine Menge Freunde hier, aber ich glaube, es ist an der Zeit sich etwas Neues zu suchen - besonders im Hinblick auf die wirtschaftliche Situation des Landes. Keine Ahnung was als nächstes kommt. Schottland oder Südengland scheinen mir ganz verlockend zu sein. Edinbrugh ist auch eine europäsiche Hauptstadt und sogar am Meer. Skandinavien. Oder Übersee? Erstmal sicherlich wieder ein Jahr Deutschland (die Ostsee ist auch nicht schlecht...manchmal vermisse ich sei schon ein wenig) und dann mal sehen, was sich als nächstes ergibt.
Oder ich ziehe nach Österreich und höre auf mit dem Surfen...naja, mal sehen...wohl eher nicht...
PS:Entschuldigt den langen Text - die Generation Fernsehen kann sich gerne auch nur das Video angucken. Was das Surfen angeht, ist genau das abgebildet, was im Text steht. Gunicho, Caparica, Carcavelos. Nur die großen Wellen nicht - wer filmt schon gerne bei perfekten Wellen? ;)
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Klasse Bericht
c-crew on Mi, 04/25/2012 - 21:00Der goldwerte Bericht
Fahnder99 on Di, 04/24/2012 - 13:18Danke fuer das Feedback. Muss
Dschensen on So, 04/22/2012 - 19:23Hey Dschensen
boerni on So, 04/22/2012 - 14:50den Blog lass ich mir als kleines Buch drucken und hol es immer wieder raus, wenn ich nach Lisboa fahre!
Vielen Dank für deine Mühe! Hat sich gelohnt!
Sehr schön !!!
Snurfer79 on Fr, 04/20/2012 - 01:04es ist ja Winter und so furchtbar kalt – da kann man nicht surfe
Tim on Do, 04/19/2012 - 17:32Das kommt mir irgendwie bekannt vor. Zieh einfach 10 Grad ab, pack 2mm Neopren drauf, beam dich nach Däne, und dann weißt du, wie es mir jedes Jahr im Januar, Februar und März geht. "Hallo, wo seid ihr den alle? ... ok, dann surfe ich die schönen Wellen halt alleine."
Super interessant -
Surfster75 on Do, 04/19/2012 - 16:48nice one!
fred on Do, 04/19/2012 - 10:53ei...damit ganz klarer Fall...
Don Diggi on Do, 04/19/2012 - 10:16für den Mitarbeiter des Monats...
Sehr cooler Bericht! Ich war
Flo_SPunkt on Do, 04/19/2012 - 10:11großartiger Blog!
tripmaster on Do, 04/19/2012 - 10:07Dschensen, das Ding ist richtig gut.
Habe keine der vielen Minuten bereut, die ich für das Lesen des langen Textes gebraucht habe.
Und Hut ab vor den Wellen, die Du da gesurft hast. Wenn das nicht mit PS reingebastelt ist, Respekt! Wirst nach Deiner Rückkehr die baltischen Tubes absolut rulen ;=)