Surfen im Winter

Vor einiger Zeit hatte ich den Auftrag, einen Text über das Surfen im Winter für eine Zeitschrift zu schreiben, die sich an junge Soldaten richtet. Hier nun für die, die´s interessiert, die ungekürzte Fassung (dies ist ein Text, den ich für Menschen ohne große Erfahrung mit dem Surfen geschreiben habe, daher gibt es immer wieder einmal Erläuterungen zu Dingen, die ich hier eigentlich nicht erläutern muss).

Es ist halb Neun und im Osten lässt sich endlich der erste hellere Streifen erkennen. Die Sonne sollte es nun bald über den Horizont schaffen. Es ist Januar in Dänemark, draußen hat es Frost und in meinem unbeheizten Bus ist es kaum wärmer. Ich bin am Vorabend hier rauf nach Thy gefahren, ein paar Surfbretter im Van und mit der Hoffnung auf ein paar gute Wellen. Die Prognose ist vielversprechend, ein Groundswell (Swell:Dünung auf dem offenen Meer. Groundswell:sehr lang über extrem große Entfernungen laufende Dünung im offenen Meer mit großer Energie. Je höher die Wellenperiode ist, desto schneller ist der Swell unterwegs und desto kraftvoller sind die am Strand daraus entstehenden Wellen.) sollte es um die Nordspitze Schottlands herum in die Nordsee schaffen und an der Westküste Dänemarks soll ein leichter Offshore (ablandiger Wind) blasen.

Surfen ist entgegen aller Sonne – Sommer – Bikini Clichés kein Sommersport. Denn Wellen entstehen durch Wind und der bläst in der Regel im Winter am häufigsten und stärksten. Da die Nordsee durch die Britischen Inseln von den Swells des offenen Atlantiks abgeschnitten ist, sind die Surfer hier noch mehr auf möglichst kräftige Stürme angewiesen als die Kollegen beispielsweise in Frankreich oder Spanien. Größe. Geschwindigkeit und Form der Wellen sind die entscheidenden Faktoren für den Spaß, den man beim Surfen hat. Alles andere ist weitestgehend nebensächlich, nur die Anzahl der anderen, mit um die Wellen konkurrierenden Surfer im Wasser, hat einen ähnlich hohen Einfluss auf das persönliche Vergnügen. Wellen sind nicht gleich Wellen und wenn man einmal Blut geleckt und gute Wellen gesurft hat, kann man nicht mehr zurück. Einem Nichtsurfer ist dies nicht vermittelbar, man kann es nicht erklären, man muss das selbst erfahren haben. Diese fast schon suchtartige Jagd nach der perfekten Welle führt bereits in klimatisch milden Gefilden zu Unverständnis und unzähligen zerbrochenen Beziehungen. Aus Sicht eines Nichtsurfers völlig bizarr wird es, wenn sich Surfer bei einstelligen Temperaturen ins Wasser begeben. In der Regel sind auch Surfer keine Masochisten und setzen sich der Kälte nicht freiwillig aus. Sie tun das – und zwar ausschließlich – weil sie dafür mit genau den Wellen belohnt werden, die sie brauchen.

Eingehüllt in 6mm Neopren am Körper, Kopf, Füssen und Händen laufe ich zum Wasser. Die Sonne hat es tatsächlich über den Horizont geschafft und schenkt mir dieses besondere Licht des Winters, das zwar nicht wärmt, aber die Dünen und das Meer in surreale Farben taucht. Die Wellen am Peak (Peak:der Punkt, ab dem die Welle anfängt zu brechen) sind auch surreal, zumindest wenn man berücksichtigt, dass das hier ein kleines Randmeer ist. Die Sets (Set:Serie von Wellen) brechen über kopfhoch über die Sandbank und laufen in sauberen Faces (Face:Vorderseite der Welle, der Bereich der Welle, auf dem man surft) gute 100m lang nach rechts. Ich bin trotz der jahrelangen Erfahrung, die ich mit dem Surfen im Norden habe, jedes Mal wieder erstaunt, wenn ich das sehe. Wellen mit Atlantik Qualität in unserem kleinen Randmeer.

Als meine Unterschenkel in die Nordsee eintauchen, wird die Kälte trotz des dicken Neos sofort spürbar. Es ist eine metallische Kälte, die sich dumpf in den Extremitäten ausbreitet. Jetzt im Januar ist die Nordsee mit etwas unter 6 Grad am kältesten, deutlich kälter noch als der von den Resten des Golfstroms etwas angenehmer temperierte Atlantik vor Norwegen oder Schottland. Ohne das dicke Neopren würde ich jetzt in ein paar Minuten erfrieren. Auch das Wasser ist durch die niedrige Temperatur schwerer, was ich gleich deutlich zu spüren bekomme, als eine Setwelle auf mich drauf bricht. Durch die nächste Welle schaffe ich es mit einem Duck Dive (Abtauchmanöver mit Brett beim rauspaddeln, um unter einer rein rollenden Welle hindurchzukommen)und etwas benommen vom Icecream Headache (so nennt man den Schmerz, der entsteht, wenn der Kopf das erste Mal in das kalte Wasser eintaucht) erreiche ich  schließlich den Lineup (der Bereich im Wasser, an dem man sich positioniert, um Wellen anzupaddeln. Meistens auch der Bereich im Wasser, an dem sich am meisten Surfer tummeln). Hier muss ich erst einmal ausruhen, trotz der inzwischen extrem flexiblen Neoprenanzüge ist das Paddeln durch die 6mm künstliche Haut deutlich erschwert und kostet zusätzlich Kraft. Nach 15 Minuten rollt das nächste größere Set rein, ich sitze richtig, paddle mit aller Kraft, schaffe den Take Off und habe vor mir eine lange stahlblaue Schulter, in die ich nun meine Kurven ziehen kann. Als ich aus der Welle wieder aussteige bin ich voll Adrenalin und Endorphin und paddle sofort zurück in den Lineup. Die drei Duck Dives auf dem Weg dahin nehme ich locker, die Kälte spüre ich nicht mehr. Pures Glück über den Ritt auf dieser Welle, verbunden mit dem intensiven Erleben der Natur in all ihrer Kraft und Schönheit überlagert für eine Weile alle damit verbundenen Mühen.

Die heftigen Stürme im nordatlantischen Winter schieben immer wieder derart große und energiereiche Swells an, dass diese es um Schottland herum schaffen, hier bis zu 90 Grad gebeugt werden und es als Groundswells mit hoher Periode, heißt hoher Geschwindigkeit in die Nordsee schaffen und neben der dänischen Westküste an guten Tagen sogar noch die Strände von Sylt beglücken. Das ist der Grund für die Quälerei mit der Kälte: kraftvolle und saubere Wellen die man mit einem Tagesauflug erreichen kann (solange man es schafft, das schlechte CO2 Gewissen zu unterdrücken). Da die Wintertage im Norden sehr kurz sind und der Wind auch im Winter ein launischer Geselle sein kann, ist eine ausführliche Beobachtung der Wellen- und Windvorhersagen entscheidend für Erfolg oder Misserfolg einer Surf Session im Norden. Heutzutage ist das durch die verschiedenen Forecast Webseiten (die Vorhersagedienste meines Vertrauens sind www.magicseaweed.comund www.windfinder.de) deutlich einfacher geworden, trotzdem braucht man viel Erfahrung, die man aus regelmäßiger Beobachtung der Vorhersagen und Abgleich mit den Berichten im Netz (www.nordsurf-syndikat.de, www.bluemag.eu, www.datrip.com) sowie – leider unvermeidlich – vielen Kilometern auf den winterlichen Straßen und dem ein oder anderen Misserfolg erlangt.

Es ist 14 Uhr, die Sonne ist längst wieder verschwunden und ein neblig trübes Grau hat sich über die Dünen gelegt. In zwei Stunden wird es bereits wieder stockfinster sein. Der Wind ist immer noch offshore und Swell ist auch noch da. Also nochmal raus da, trotz des nun feuchtkalten und farblos trüben Wetters. Die erste Herausforderung dabei ist der noch nasse und natürlich saukalte Neoprenanzug. Da muss man erst mal rein mit der nackten Haut (Ein dünner Neoprenunterzieher würde diesen Kälteschock etwas mindern, hat aber den Nachteil, dass er weiter die Bewegungsfreiheit eingrenzt). Den Weg ans Wasser lege ich laufend zurück, um die steifen Muskeln etwas flexibel zu bekommen und den Neo etwas anzuwärmen. Die Session ist dann etwas weniger erfolgreich, die Kombo aus reduzierter Flexibilität der Muskulatur und Ermüdung noch von der morgendlichen Session führen dazu, dass ich einige vielversprechende Wellen nicht schnell genug anpaddeln kann und daher verpasse. Zwei schöne Rides springen am Ende dann doch raus, bevor ich kurz bevor es ganz dunkel wird, zurück an den Strand komme.

Am Bus habe ich dann erst einmal Probleme, das Schloss aufzusperren. Die Hände sind völlig gefühllos und entsprechend grobmotorisch. Als ich die Tür endlich auf habe, beginnt die nächste Herausforderung. Aus dem eng sitzenden Neopren raus zu kommen ist bei jedem Einzelteil der Ausrüstung ein Kampf. Taube Finger rutschen vom nassen Neo ab, einmal gebe ich mir dabei selbst eine Ohrfeige weil ich zu stark gezogen habe und den Gummi nicht fest genug gegriffen hatte. Bereits freigelegte Teilbereiche des Körpers zittern unkontrolliert in der kalten Luft. Am Ende habe ich es dann irgendwie in die auch schon etwas feuchten Klamotten geschafft, lass das muffig riechende Neopren einfach am Boden liegen und schmeiße den Motor an, um mich auf den langen Heimweg zu machen. Nach ca. 50 km Fahrt mit voll aufgedrehter Heizung kehrt langsam etwas Gefühl in meine Füße zurück und ich hacke nicht mehr ganz so grob auf Gaspedal und Bremse rum. Die zurückkehrende Wärme lässt den Körper wohlig müde werden, aber das passt jetzt grad gar nicht, schließlich muss ich noch rund 4 Stunden fahren, bis ich zuhause bin. Den CD-Player ein paar Stufen lauter drehen und den Tag in den winterlichen Nordseewellen im Kopf Revue passieren lassen hilft mir die Rückfahrt zu überstehen.

Surfen im Winter in den nördlichen Gefilden ist anstrengend und kann lebensgefährlich sein. Man sollte schon surfen können und Erfahrung mit kräftigen Wellen haben sowie ein Grundwissen über Wellen besitzen, bevor man sich auf dieses Abenteuer einlässt. Möglichst nicht alleine raus paddeln, das Buddy Prinzip kann Leben retten! Fitness ist extrem wichtig (im Wesentlichen Kraftausdauer beim Paddeln und anaerobe Ausdauer für das Durchqueren der Zone mit den brechenden Wellen und die unvermeidliche Zeit, die einen die Wellen bei einem Sturz unter Wasser drücken. Heißt: Joggen bringt nix, viel Zeit im Schwimmbad sowie Kraftübungen für den Rumpf und den Schulterbereich helfen schon mal deutlich mehr, das beste Training ist aber viel und regelmäßig Surfen) , der dicke Neopren und die Kälte kosten Kraft. Ohne eine komplette Neoprenausrüstung, bestehend aus einem 6mm Anzug, am besten mit integrierter Haube, dicken Booties und Handschuhen hat man hier nichts zu suchen. Der Anzug sollte exakt passen und überall direkt am Körper anliegen. Dafür im Laden notfalls verschiedene Marken anprobieren und schauen, welche am besten zu deiner Körperform passt. Das geht natürlich nur in einem gut sortierten Surf Shop. Bitte nach dem Anprobieren dort auch den Anzug kaufen und nicht einfach im Netz für ein paar Euro weniger besorgen.

Das Neopren muss immer gut in Schuss sein, ein Loch oder ein defekter Reißverschluss macht Dich in fünf Minuten bewusstlos (ist auch schon erfahrenen Nordsurfern passiert, ein Defekt kann lebensgefährlich sein, daher bitte vor dem Surfen die Zeit nehmen und einmal die Nähte des Neos prüfen ob die Verklebung noch hält und der Faden nirgends gerissen ist, außerdem den Reißverschluss auf Korrosion prüfen und ggf. die grauweiße Verkrustung auf dem Metall vorsichtig abkratzen). Dein Brett sollte etwas mehr Volumen haben um das mehr an Gewicht durch das Neopren und die durch Kälte und Anzug reduzierte Kraft auszugleichen. So eine Neopren Ausrüstung kostet so viel wie ein Flug auf die Kanaren, aber das besondere Erlebnis des Surfens im nordischen Winter ist vielen Surfern im Norden die Investition mehr als wert.

Bild von Tim

Vom Originalartikel...

Tim on Mi, 02/11/2015 - 15:33

... habe ich leider nur die Snapshots im Forum. Ich fand die Idee super und war sehr erfreut über die kleine Abwechslung auf der Arbeit.