Nieselregen, Temperaturen um den Gefrierpunkt, Novemberwetter 3 Tage vor dem meteorologischen Frühlingsbeginn, alles grau in grau und draußen will es nicht richtig hell werden. Das sind genau die richtigen Zutaten, wenn man einen soliden Winterswell an der Nordsee für sich haben will.
Nach zwei Wochen mit Premiumwellen auf Fuerteventura ist die Rückkehr in die Realität ziemlich hart. Es ist schon fast wie ein Fluch. Jedes Mal, wenn ich superfit aus einem Surfurlaub wieder nach Hause komme, erwarten mich neben einem riesen Haufen Arbeit auch noch bis auf weiteres äußere Umstände, die ein Surferherz alles andere als erfreuen. In diesem Fall sind es Temperaturen, die Wasser zu Eis gefrieren lassen, und der Kältenachschub aus Sibirien will einfach nicht abreißen. Alles ist grau in grau. Schneereste am Straßenrand, die einfach nicht verschwinden wollen, sowie zugefrorene Binnengewässer zeugen von einem hartnäckigen Winter, der nun schon seit Ende November alles Flüssige zu Eis erstarren lässt – fast alles... Eine Session am „Homespot“, oder besser gesagt dem “meiner Wohnung nächstgelegenen Strand“ muss ich untypischerweise absagen. Der Grund: -3°C, die sich bei auflandigem Ostwind anfühlen wie -20°C, keine Sonne und Ostseegeschwabbel, bei dem ich selbst im Hochsommer lange überlegt hätte, ob ich dafür extra das Board wachsen soll. Unter den gegebenen Umständen brauche ich nicht lange zu überlegen. Ins kalte Wasser will ich erst wieder an einem besonderen Tag, an einem Tag, an den ich mich noch lange zurückerinnern werde.
Schon seit geraumer Zeit entwickelt sich weit draußen auf dem Atlantik etwas, das verdächtig nach den Zutaten eines soliden Winterswells aussieht, der nicht nur Surfer an der Atlantikküste erfreut, sondern auch den Weg in die Nordsee schaffen sollte. Immer wieder neu entstehende Tiefdruckgebiete vor der amerikanischen Ostküste wandern perlenkettenförmig in Richtung Island und zerschellen an einem riesigen sibirischen Kältehoch, das seinen Einflussbereich bis nach Mitteleuropa ausgedehnt hat. An der Südflanke dieser Tiefdruckgebiete bildet sich ausgleichend zum subtropischen Hochdruckgürtel ein Starkwindfeld, das in seiner zonalen Ausdehnung weit mehr als tausend Kilometer beträgt. Die Windpfeile in dessen Maximum zeigen aus einigen hundert Kilometern Entfernung mehr oder weniger direkt auf den nördlichen Ausgang der Nordsee.
Die Modelle sind sich dieses Mal einigermaßen einig und berechnen den Zeitpunkt des Auftreffens der ersten nennenswerten Dünung auf die dänische Nordwestküste für Freitag Vormittag. Eine prognostizierte Höhe von einem halben bis einen Fuß hört sich nicht wirklich nach viel an. In Verbindung mit einer Periode von 14 bis 15 Sekunden kann die Dünung an den im Swellfenster liegenden Nordseestränden aber durchaus druckvolle Wellen mit nicht selten schulter- bis kopfhohen Vorderseiten hervorrufen. Der Wind sollte erst aus südlichen, später aus südöstlichen bis östlichen Richtungen wehen. Erstaunlich ist, dass diese Dünung bis einschließlich Donnerstag der darauffolgenden Woche anhalten soll. Wer sich in der Zeit frei nehmen kann, gehört eindeutig zu den Gewinnern. Ich als von montags bis freitags arbeitender Normalsterblicher bin natürlich auf das Wochenende angewiesen und heilfroh, dass es so vielversprechend aussieht.
Börni, Lars und Fugi haben sich ebenfalls angekündigt. Nach telefonischer Absprache wollen wir uns am Freitag nach erfolgreicher Suche am Spot mit den tauglichsten Wellen treffen und schonmal ein bisschen was abgreifen. Als erstes läutet am Freitag die Feierabendglocke bei mir, so dass ich ab dem Vormittag quasi die Vorhut bilde. Bei der Wind-/Wellenkonstellation bietet sich die große Westküstenspotcheckerrunde an. Leider kann ich von Süden kommend bis einschließlich zur Fähre keine Dünungswellen ausmachen. Der lebhafte südliche Wind macht nicht nur das Wasser unruhig, sondern bringt auch einen Schwung tiefhängender Wolken mit sich, die das dänische Westküstenflair in den schönsten Grautönen erstrahlen lassen. Auch nördlich der Fähre gibt es anfangs lediglich gefrorene Wellen zu bestaunen. Die absolut letzte Option führt mich in das allseits bekannte Fischerdorf mit der langen Mole. Dort komme ich kurz vor der Abenddämmerung an und sehe bereits vier Longboarder am Stummel sitzen, die minutenlang auf kniehohe Setwellen warten. Ich beschließe, etwas abseits in den Untergrund abzutauchen. Hier erwartet mich eine von Nordwesten kommende linkslaufende Welle, die für ihre geringe Größe erstaunlich viel Kraft besitzt. Der Swell ist da!
Der Samstag beginnt in etwa so wie der Freitag aufgehört hat. Die Wolken scheinen noch etwas tiefer zu hängen. Der Horizont verschwimmt, lässt sich nur erahnen, es will einfach nicht richtig hell werden. Dabei nieselt es unaufhörlich bei Temperaturen knapp über dem Gefrierpunkt, quasi 1a Novemberwetter 3 Tage vor dem meteorologischen Frühlingsanfang. Eines hat sich aber offenbar verändert: Die Wellen sind größer geworden! Während Börni, Lars und Fugi sich bereits im Wasser befinden, will ich erst einmal noch ein paar Spots nördlich checken. Eigentlich hätte ich mir das auch sparen können, aber die Gewissheit, dass die Stummelmole an dem Tag „The place to be“ ist, musste ich mir einfach noch holen.
Kurz darauf gehe ich endlich ins 3°C warme Wasser. Die abnehmende Tide lässt die Wellen immer weiter draußen brechen. Linkslaufend ist zwar nicht meine Schokoladenseite, aber trotzdem genieße ich jede Welle. Die Setwellen haben an dem Tag richtig viel Druck und sind etwa schulterhoch. Insgesamt befinden sich dort nie mehr als 5 Leute gleichzeitig im Wasser. Zwischenzeitlich bin ich sogar alleine, und das an einem Spot, der an einem Sommerwochenende bei diesen Bedingungen garantiert wegen Überfüllung nahezu unsurfbar gewesen wäre. Für mich verdient dieser Tag das Prädikat: Besonders wertvoll!
Die Idee, am Samstag schon mal an einen durch seine guten Bedingungen bei nördlichen Swells bekannten Westküsten-Spot zu verlegen, erweist sich spätestens am Sonntag als völlig wertlos. Immer noch frischer Wind aus Südost, dazu noch Windwelle aus Südwest vermischt mit Dünung aus Nordwest und zu hohe Wasserstände machen aus dem angedachten Sonntagssurf an der Westküste leider eine Nullnummer. In Erinnerung bleibt ein unvergesslicher Samstag mit Wellen, wie sie nicht viel optimaler hätten sein können. Einen Nordseespot im Zenit seiner Möglichkeiten mit nicht mehr als einer Hand voll Leute – zwischenzeitlich sogar alleine – zu surfen, ist und bleibt etwas ganz Besonderes.
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TOP Tim....
coldwaves on Fr, 03/04/2011 - 09:13...schöner Blog und klasse Fotos.
was ein cooler spotbericht,
Da Johnnie on Mi, 03/02/2011 - 13:12