Es ist Freitag, der 9. Januar.
Bis vor einigen Jahren war dies noch eine ungewöhnliche Zeit, um auf der "Suche" Richtung Norden aufzubrechen. Inzwischen hat sich das geändert. Über Sylvester ist das Line Up voll, Temperaturen unterm Gefrierpunkt kein Hindernis mehr. Trotzdem kommt es mir immer noch seltsam vor, bei -3 Grad an der Elbe den Wagen mit Equipment vollzupacken.
Ich habe lange überlegt. Der Forecast verhieß nicht gerade epische Bedingungen. Samstag 2,5 Fuß, langsam größer werdend. Sonntag dann 8 Fuß, weiter zunehmend. Swell aus westlicher Richtung, immerhin Wind aus Südwest. Auch der Wind soll zunehmen. Und immerhin soll es im Norden wärmer sein.
Nach mittlerweile neun Wochen Abstinenz, einem verpassten perfekten Wochenende Anfang Dezember, keinem Loskommen über den Jahreswechsel und ein paar im privaten Bereich sehr traurigen Tagen entschließe ich mich trotzdem loszufahren. Denn: If you don´t go...well, maybe you don´t have to pay 150 bucks for petrol to get there, but... you also definetely WON´T know.
Ich fahre durch die Nacht. Hinterm Grenzübergang wird es immer leerer, auf der Landstraße schließlich geradezu einsam. Aber da ist es wieder, dieses Gefühl, das mich seit mittlerweile 14 Jahren immer wieder auf diesen Weg treibt. Langsam steigert sich die Euphorie, wenn man die bekannten Orte passiert. Irgendwann auf dieser Strecke dudelt The Sandals´ "Endless Summer" aus dem Radio. Auch wie seit 14 Jahren. Einige Traditionen sollten einfach nicht gebrochen werden.
An der alten Stahlbrücke über den Limfjord fühle ich mich glücklich. Ein bisschen wie nach Hause kommen. Ich biege links ab, fahre durch den Ort Richtung Strand. Es ist mitten in der Nacht. Das Dorf scheint ausgestorben, der Parkplatz am Strand ist leer. Johnny Cash kommt mir in den Sinn. Solitary Man.
Am nächsten Morgen schaue ich über die Düne und die Nordsee begrüßt mich mit gelangweiltem Geschwabbel. Trotzdem erfüllt mich Zufriedenheit, endlich wieder hier zu sein.
Ich gehe Brötchen holen, nur um jetzt bei Helligkeit zu sehen, dass der Bäcker abgebrannt ist. Beim Supermarkt gibts Einkäufe fürs Frühstück, ich mache mich auf den Rückweg und schaue nochmal über die Düne, bevor ich den Kaffee aufsetze. Das, was ich schräg hinter der kleinen Mole sehe, lässt mich Kaffee und Brötchen schnell vergessen.
Eine Left schält sich an der Sandbank entlang und ich werde hektisch. Temperaturen sind auf einmal egal, rein in den Neo, nur die dünnen Handschuhe dabei, egal, noch eine schnelle Lage Wachs aufs Brett, die neuen Finnen sind schon drunter. Als ich ins Wasser gehe und kaum Kälte am Körper spüre, denke ich wieder einmal, was für einen guten Job der Mann mit der Augenklappe doch macht. Danke, Jack...
Ich sitze auf dem Wasser. Die ersten Duckdives waren schmerzhaft im Gesicht und haben einen an die Tatsache erinnert, dass das Wasser nur 6 Grad warm ist.
Was mir die Nordsee da entgegenwirft, ist nicht wirklich kraftvoll. Aber die Wolkendecke reißt für eine kurze Zeit auf und ich finde mich allein mit sauberen Wänden, die zwar schwer zu kriegen sind, aber das durch geradezu grazile Schönheit ausgleichen. Ich schaue beim Rauspaddeln in kleine Röhren, das Spray glitzert in der Sonne. Zufriedenheit. Innere Ruhe. Solitary Man.
Nach knapp zwei Stunden kriecht doch langsam die Kälte in die Finger. Alleine diese zwei Stunden und die Eindrücke die ich von ihnen mitnehme, haben dafür gesorgt, dass sich die Fahrt gelohnt hat. Bilder haben sich eingebrannt. Das Gleitgefühl unter den Füßen hält sicher ein paar Wochen vor. Die Sucht ist befriedigt. Vorerst. Zeit für Frühstück und Kaffee. Es ist halb drei.
Bei meinem nächsten Rundgang sind ein paar Dänen im Wasser. Es wird langsam dunkler. Der Swell hat zugelegt, der Wind auch. Die Jungs scheinen einigermaßen Spaß zu haben.
Beim Fotografieren frieren mir fast die Finger ab. Es ist halt doch noch Winter.
Ich überlege, ob sich die Konfrontation mit dem nassen Anzug noch einmal lohnt. Doch, auch wenn der Swell zunimmt, sorgen die Dunkelheit und die Temperaturen dafür, dass ich meinem kleinen geheizten Zuhause den Vorzug gebe.
Die Küche bleibt diesen Abend kalt. Obwohl fast alle Geschäfte geschlossen sind, erbarmt sich das Café an der Ecke doch seine Gäste zu bewirten. Es ist ein bisschen ungewohnt, ich bin der einzige Deutsche. Ich fühle mich wohl so. Wer ein wenig Einsamkeit sucht, kann sie hier immer noch finden. Auch im Zeitalter der Internetforecasts, Beachcams und Winteranzüge sind Line Ups und Parkplätze nicht jedes Wochenende voll.
Das Fiskerfillet mit Pommes und die zwei Tuborg Classic dazu lassen mich irgendwann viel später im warmen Bus einschlafen. Es gibt kaum einen besseren Tagesablauf.
Am nächsten Morgen wache ich vom Wackeln des Busses auf. Es ist halb zehn. Der Wecker war auf halb neun gestellt, aber irgendwie hab ich ihn wohl ignoriert. Der Himmel ist noch grauer als gestern Abend. Ein Blick über die Düne zeigt, dass der Forecast recht hatte. Starker Wind aus Südwest, Swell aus West. Ob das die angesaten acht Fuß sind, kann ich nicht sagen, aber es ist auf jeden Fall größer. Der Erste kommt schon vom Wasser und zieht sich wieder um. Draussen sitzen noch zwei Gestalten, die sich in die Windabdeckung der Mole geflüchtet haben. Es sieht nicht allzu vielversprechend aus. Der Wind bügelt das Meiste platt, die Swellrichtung passt nicht. Ich entscheide mich doch nochmal ins Wasser zu gehen. Der Anzug ist wieder trocken, die nächsten Wochenenden sind blockiert. Nass werd ich frühestens in vier Wochen wieder. Vielversprechend sieht es nicht aus, aber egal.
Der erste Eindruck hat nicht getäuscht. Trotz der Naturgewalten scheint es noch schlapper zu sein als gestern. Wind und Strömung ziehen gnadenlos zur kleinen Mole. Dahinter nur Chaos. Paddeln gegen Wind und Strömung ist kaum möglich. Das Spray sticht ins Gesicht wie tausend eiskalte Nadeln. Egal. Hauptsache nass. Hauptsache die Schultern wieder spüren. Hauptsache im Wasser.
Nach einer wellenmäßig ziemlich enttäuschenden Dreiviertelstunde kehre ich der tobenden Nordsee den Rücken. Trotzdem zufrieden. Zeit für den Heimweg.
Es ist nicht immer möglich, für ein Wochenende gut tausend Kilometer zu fahren. Es ist auch nicht immer dann möglich, wenn der Forecast episch ist. Egal. Es ist Sonntag Abend. Ich bin zuhause. Nicht mehr Solitary Man.
Extrem zufrieden.
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Oh mann! Dude!
boerni on Di, 01/13/2009 - 15:36Du solltest wirklich mal öfter loseiern, damit ich so einen schönen Blog aus L-Towner-Perspective lesen kann. Am Besten, wir fahren gleich zu zweit!! Das spart und der Stoke verdoppelt sich!
Mittwoch wieder Bahnen ziehen? Werde wohl auch meine Strecke hinter mir lassen. Habe Blut geleckt!!!
Weiter so!!!
Hey Mr Cash...
Don Diggi on Di, 01/13/2009 - 10:42super Story und Respekt an alle die sich an den kurzen kalten Wintertagen alleine aufmachen um der Nordsee 1-2 Stunden Spaüß abzuringen ...