Ist es wirklich so schlimm?
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Quelle:Free Magazin.de
Es ist kalt hier draußen. Vielleicht vier Grad Außentemperatur. Die Wassertemperatur beträgt definitiv weniger. Vielleicht zwei Grad. Keiner weiß das so genau. Und ehrlich gesagt will das auch keiner wissen. Neben der vorherrschenden Temperatur bläst ein eisiger Nordost-Wind, der empfindlich durch alle Schichten zieht und bei jeder Bewegung einen Gänsehautschauer über den ganzen Körper jagt.
Die Luft, die die beiden Jungs ausatmen, macht dicke Wolken, als rauchten sie eine fette Havanna. Jeder Atemzug, den sie einatmen, brennt in ihren Lungen. Während sie den Wind auschecken, haben sie noch einen Schal vor dem Mund, damit das Einatmen nicht so weh tut. Doch gleich heißt es umziehen. Rein in den Neo und dann hinein ins kühle Nass, denn heute wird gesurft.
{GALERIE} coldplay_2.jpgMan zieht sich im viel zu kleinen Auto um. Es kostet Überwindung, draußen die Jacke auszuziehen, die Hose ist noch schlimmer. Man greift zum Neo und streift erst das eine, dann das andere Bein über, dann sofort die thermobeschichteten Füßlinge. Erst am Schluss wird der Pullover ausgezogen, bevor man, so schnell es geht, die schützende Gummihaut über ein etwas dickeres Lycra überstreift. Letzte Checks: Haube, ist da, Handschuhe, auch, Board, liegt gewachst neben dem Auto. Der Kumpel, der diese hirnrissige Idee hatte?! Steht schon am Strand.
Wenn man die ersten zwei Schritte in voller Neoprenmontur in zwei Grad kaltes Wasser macht, ist das erstmal kein Unterschied im Vergleich zum Sommer. Erst nach drei Metern, wenn das eisige Wasser die Beine vollständig umspielt und sich der Neo mit Wasser füllt, merkt man die Kälte – das Wasser ist saukalt – und dass das Vorhaben Surfen im Winter wirklich lebensmüde sein kann.
Beim Rauspaddeln klatscht Eiswasser ins Gesicht und schwappt trotz Haube in den Kragen. Man schnappt nach Luft, nicht wegen des Wassers, sondern wegen der Kälte. Jede Bewegung tut weh. Bloß nicht einfrieren. Bloß nicht erfrieren.
{GALERIE} coldplay_3.jpgNach einigen kurzen Rides ist der Körper wieder warm, denkt man zumindest. De facto sind die Füße nur so kalt, dass sie die Kälte nicht mehr spüren. Die Finger sind Eisklumpen. Das Gesicht fühlt sich wie von einer dünnen Eisschicht überzogen an, die jede Mimik unmöglich macht. Jetzt heißt es raus aus dem Wasser, bevor ernsthafte Erfrierungen eintreten.
Langsam wieder aufwärmen, bis Leben in die Glieder kommt. Und das ist wohl der schmerzlichste Part am Surf-Abenteuer im Winter. Sich den nassen Neoprenanzug vom Körper zu schälen ist eine Art der Quälerei. Warten, dass die Finger und Zehen auftauen, eine ganz andere. Die Schmerzen, die man ertragen muss, wenn kalte Finger und Zehen wieder warm werden, sind unbeschreiblich. Es beginnt mit einem leichten Kribbeln in den weißen Gliedern, ganz sanft, während man hoffnungsvoll die Hände und Füße vor die Lüftung im Auto hält. Dann nimmt das Kribbeln zu und wird zu einem unangenehmen Stechen. Darauf werden die Gliedmaßen rot und warm und die unbeschreiblichen Schmerzen fangen an: Es ist, als würde man die Fingerkuppen immer und immer wieder auf ein Brett mit tausend Stecknadeln rammen. Ein Gefühl, das auch den härtesten Surfer vor Schmerz laut aufschreien lässt. Keine Medizin, keine Creme, keine Vorsorge können helfen, wenn die kalt gewordenen Finger wieder durchblutet werden. Da muss jeder durch. Und das hat nun nichts mehr mit Surfromantik zu tun.
Auch medizinisch betrachtet ist das Surfen im Winter und das damit verbundene Abfrieren der Gliedmaßen extrem bedenklich: Bei einer Unterkühlung hat das Körpergewebe einen verringerten Stoffwechsel. Es wird gleichsam auf Spargang geschaltet. Man vermutet, dass sich vor allem bei feuchter Kälte zwischen den Zellen im Körper kleine Eiskristalle bilden, die den Zellstoffwechsel stören und zu Verklumpungen der Sauerstoff transportierenden roten Blutzellen führen. Ist der ganze Körper unterkühlt, bricht die Steuerung der Wärmeproduktion, das Zittern hört auf, man wird teilnahmslos und inaktiv, später bewusstlos.
Neben der generellen Unterkühlung kann es auch zum Erfrieren von bestimmten Körperabschnitten kommen. Die Durchblutung wird dabei massiv gestört, es kommt zu Anschwellungen durch das Austreten von Blutflüssigkeit, zu Verfärbungen und Gewebstod. Die örtlichen Erfrierungen führen zu den so genannten „Frostbeulen“ oder zum Absterben ganzer Körperregionen. Harmloser sind vorübergehende Kältereaktionen der Hautblutgefäße. Durch den Temperaturreiz ziehen sie sich zusammen, die Haut wird kühl und blass, weniger Sauerstoff gelangt in das Gewebe. Das kann sehr schmerzhaft werden, besonders bei der Wiedererwärmung. Bekannt ist das „Brennen unter den Fingernägeln“, wenn unterkühlte Hände rasch erwärmt werden. Diese vorübergehende Reaktion ist zwar schmerzhaft, aber harmlos. Nach der Blässe setzt dann eine vermehrte Durchblutung und Rötung ein. Deshalb sollte man immer darauf achten, dass man kaltes Gewebe langsam erwärmt, denn das ist weniger schmerzhaft.
Daher liebe Winter-Surfer: Achtet darauf, dass ihr es, trotz aller Liebe zum Wassersport, nicht übertreibt im Winter. Es ist und bleibt gefährlich und der nächste Sommer kommt bestimmt!
Was meint ihr?
B.