Zwei Ozeane – Teil 1: die Ostsee

Ich gebe zu, ich habe die Ostsee und das Kattegat lange abschätzig als Tümpel bezeichnet und bei weitem nicht als surfbare Gewässer ernst genommen. Ich konnte mir bei bestem Willen nicht vorstellen, dass diese kleinen Randmeere in der Lage wären, halbwegs regelmäßig brauchbare Wellen zu produzieren. Ich tue hiermit demütig Abbitte und bereue meine abwertenden Sprüche zutiefst.

Doch der Reihe nach:

Huey scheint derzeit die Jahreszeiten etwas durcheinander zu bringen und schickte den nächsten Wintersturm mitten im Juli an die nordeuropäischen Küsten. Während die meisten norddeutschen Surfer ihren Fokus auf den Sonntag und den Fischschonbezirk legten, hatte ich Samstag und Sonntag im Fokus. Dazu musste ich aber zusätzliche rund 400 Euro Fahr bzw. Fährkosten auf den Windroulette Tisch schmeißen. Die Vorhersage schien mir den Einsatz wert und so schickte ich Freitag Mittag die letzten Blubbermails an die Baustellen, schloss dann das Büro ab und machte mich auf den Weg.

Ich schaffte es vor dem Peak der Urlauberwelle auf die Autobahn und während ich relativ entspannt Richtung Fährhafen cruiste hörte ich im Radio die ersten Berichte über Unfälle und Staus, die zum Glück alle hinter mir lagen. Am Fährhafen musste ich dann erst einmal länger warten, bis ich auf den Pott kam. Eine beachtliche Anzahl von skandinavischen Urlaubern stand da schon mit ihren vollgepackten Fahrzeugen und das Beladen der Fähre dauerte etwas länger. Auffällig war, wie viele Schwangere da zwischen den Fahrzeugen herum spazierten. Bei genauerer Betrachtung waren eigentlich fast alle weiblichen erwachsenen Personen mit dem typischen runden Bäuchlein ausgestattet. Muss ein langer und dunkler Winter gewesen sein….

Rund eine Stunde vor Sonnenuntergang erreichte ich mein erstes Etappenziel. Ich wollte zur Einstimmung auf das stürmische Wochenende im Norden noch einmal bei diesem Ales Stenar vorbeischauen, den ich 2003 schon einmal besucht hatte. Die Wikinger haben sich hier vor langer Zeit einen Sonnenkalender gebaut, indem sie Hinkelsteine in Form eines ihrer Schiffe in den Boden an der Steilküste gesetzt haben. Bug und Heck sind dabei durch höhere Steine markiert und da, wo die Ruder wären, sind ein paar weitere markante Steine gesetzt, alles so ausgerichtet, dass zur den Sonnwenden und Tag- und Nachtgleichen exakt über den einzelnen Steinen die Sonne auf bzw. untergeht. Auch ohne diese astronomischen Rechenkunststücke hatte der Ort eine ganz spezielle Magie. Zumindest hatte ich das so in Erinnerung.

Im letzten Licht der untergehenden Sonne eilte ich dann den Pfad zur Anlage hinauf, voller Vorfreude auf neue alte (auch 2003 war ich zum Ende des Tages dort gewesen) magische Ausblicke. Doch ich wurde erst einmal enttäuscht. Das Licht war zwar exquisit, aber der Ort war äußerst gut besucht von deutschen, spanischen und französischen Urlaubern. Die skandinavischen Länder halten ja – noch – relativ wenig von Zäunen oder sonstigen Absperrungen bei solchen Kulturgütern. Diese Freiheit nutzen die Touristen um mitten in der Anlage Picknick zu halten und auf den Steinen herum zu klettern. Ganz besonders gefreut habe ich mich über die beiden deutsch sprechenden Frauen, die sich inmitten der Anlage breit gemacht hatten und dort lautstark Frauenthemen erörterten. Nix war´s mit Magie.

Doch dann fiel mir ein sehr alt und sehr müde aussehender Vogel auf, der regungslos auf einem der steine saß. Ich näherte mich ihm vorsichtig und erwiderte seinen Blick und wusste sofort, dass das einer der alten Wikinger Götter sein musste, der sich das Elend in seiner ehemals ehrwürdigen Kultstätte ansah. Ich bekundete ihm still meinen Respekt – meiner Meinung nach sollte man sich auch mit den alten Göttern gut stellen, wenn man auf passende Konstellationen von Wind und Wellen angewiesen ist – und wartete bis sich die Horden verzogen. Langsam kehrte so auch die volle Magie dieses Platzes zurück und ich war zuversichtlich, dass die Ostsee am nächsten Tag wie erhofft kooperieren würde.

Samstag Morgen schälte ich mich um Sieben aus den Federn und machte mich wieder auf den Weg. Die Küstenstraße war ausgestorben und ich nahm mir die Zeit, die eine oder andere Stichstraße ans Meer runter zu fahren. Gleich auf der ersten stieß ich auf weitere Frühaufsteher, die mit ihren Ferngläsern gebannt auf das Meer hinaus starrten. Im Gegensatz zu mir waren diese Herren aber nicht an den durch den zunehmenden Ostwind langsam aufkommenden Wellen interessiert, sondern an den Vögeln.

Ich war von dem Strandabschnitt nicht so begeistert und fuhr weiter bis ich von der Straße aus einen spannend aussehenden Knick in der Küstenlinie entdeckte. Ich fuhr runter und parkte meinen Lastwagen auf einem Parkplatz neben einer Kuhweide. Nach lurzem Gehweg erreichte ich ein kleines Dorf, dass auf einer Art Halbinsel lag. Links war eine kleine Bucht, dann kam ein Riff, auf dem sich mit dem zunehmenden Windswell eine interessante Rechte abzeichnete und auf der anderen Seite gab es einen Setup, der verdächtig nach linkem Pointbreak roch. Da der Windswell aber noch zu schwächlich und zu verblasen war, beschloss ich erst einmal zu Frühstücken.

Den Kaffee müssen dann auch die Kühe auf der Weide gerochen haben, denn kaum war der fertig kam die komplette Herde anmarschiert und drängte sich am Zaun. Trotz meiner Zweifel hielt der aber dem Andrang statt und ich musste mein Käffchen nicht teilen. Danach ging ich noch mal Wellen checken, war aber nicht zufrieden und machte mich erst einmal wieder auf den Weg die Küste erkunden. Ich wusste durch den Forecast ja, dass ich noch Zeit hatte, denn der Swell sollte erst ab Mittag sein Maximum erreichen und zum selben Zeitpunkt sollte der Wind einschlafen und wieder zurück drehen.

Im Dorf mit den vielen Riffen stoppte ich als nächstes. Aussteigen wollte ich nicht, denn inzwischen hatte es in Strömen zu regnen begonnen.  Der Wind hatte auch noch einmal einen Schlag zugelegt und so flog ordentlich Gischt über die Hafenmauer. Der Swell konnte bereits etwas, nur der Wind machte derzeit noch einen deftigen Strich durch die Rechnung. Also fuhr ich erst einmal in einen nahen Supermarkt etwas Futter bunkern und dann wieder zurück zur Halbinsel, schaute mir da das Geschehen an und war nicht zufrieden. Langsam wurde ich etwas hibbelig. Es ging bereits auf Mittag zu und ich hatte immer noch keinen klaren Favoriten für die anstehende Surf Session aus den vielfältigen Optionen ausmachen können. Ich hatte etwas Panik, dass ich den exakten Zeitpunkt des Winddrehers beim Searchen verpassen würde und der Swell mit zurückdrehendem Wind zu schnell abnehmen würde.

Also entschloss ich mich, den Checker Radius auszuweiten und fuhr an den Beachbreak, den ich bereits im Mai besucht hatte. Dort angekommen war der Wind deutlich runter gegangen, aber die See war noch sehr unruhig. Also noch mal weiter, an einen Ort der größeren Swell braucht und viel Potential hat. Dort war der Wind ganz weg, Swell war da, aber unsortiert und ich konnte keinen „da musst du jetzt raus“ Spot ausmachen. Warten bis sich die See noch mehr entschwabbelte wollte ich nicht, also fuhr ich wieder an den Beachbreak und beschloss da raus zu paddeln. Auch hier fast kein wind mehr aber noch sehr ordentliche Wellen auf dem Teich, wenn auch weiterhin noch ziemlich durcheinander. Zwei Jungs waren bereits draußen, beide auf Kurzware und auch ich entschied mich für das kleine Grüne, in der Hoffnung damit die anstehende Duckdive Orgie auf dem Weg nach draußen besser bewältigen zu können.

Mein Ziel war die Rechte an der Sandkante, die trotz des Schwabbelns auf dem Meer hin und wieder eine ganz ordentliche Welle produzierte. Auf den ersten Paddelmetern wurde ich dann fast seekrank, in kürzesten Abständen schwabbelte es hoch und runter und so mancher Duckdive endete 2 Meter vor dem nächsten Duckdive. Doch mit etwas Mühe schaffte ich es raus, landete aber im Channel zwischen der Rechten und einem etwas wirren Peak weiter links. Da ich keinen Bock auf die Paddelei gegen die Strömung hatte, schloss ich mich den beiden Kollegen an, die es auch bereits an diesen Peak getrieben hatte. Der hatte dann auch ein paar recht kräftige Wellen zu bieten, die aber mal hier, mal da hochschwappten. Ich hatte so meine Probleme einen Rhythmus und ein Gefühl für den Break zu finden und bekam hatte ich außer ein paar ordentlichen Waschgängen inklusive einiger vollen Rotationen nicht sonderlich viel gebacken. Daher beschloss ich erst einmal Pause zu machen und die See sich erst einmal beruhigen zu lassen.

Zurück am Strand kamen mir dann auf einmal Massen von Surfern entgegen, die alle fanden, dass nun die richtige Zeit sei, um hier raus zu paddeln. Ich schaute mir das noch eine Zeitlang an, beschloss dann aber, dass ich meine Erholungsphase besser damit verbringen würde, noch ein paar einsamere Spots zu checken. Der Wind war ja weg und sollte demnächst auf Südwest zurück drehen und ich hatte da so eine Idee, wo das ganz gut zusammen passen würde. Ich war gerade wieder auf der Straße, als sogar die Sonne das erste Mal die Wolkendecke beiseiteschob. Kurz darauf muss ich dann wohl in ein Wurmloch im Raum-Zeit Kontinuum gefahren sein. Weniger wegen der jetzt durchgehend scheinenden Sonne und rasant ansteigender Temperaturen, das konnte hier ja mal vorkommen. Aber als ich die nächste größere Ortschaft durchquerte, war ich urplötzlich von Fahrzeugen umgeben, die sogar noch vor meiner Geburt ihre Jungfernfahrt hatten. Das Ganze auf Kopfsteinpflaster zwischen Gebäuden im 40er und 50er Jahre Baustil. Das passte. Beziehungsweise das passte nicht so recht zu dem Zeitalter, in dem ich mich gerade eben noch befunden hatte.

Ich schien mich aber noch im richtigen Ort zu befinden, denn ich fand den Weg zur „Reef Road“, die ich ansteuern wollte. Dort erreichte ich dann auch den kleinen Hafen, der unverändert (der war eh zeitlos) erschien, doch neben der Störung des Zeitstrahls musste es noch eine massive Verwerfung in der Plattentektonik gegeben haben. Denn die Linke, die da vor der Hafenmauer brach, konnte nicht aus so einem kleinen und flachen Randmeer wie der Ostsee kommen. Ich fuhr dann zum nächsten Riff, um zu sehen ob das hier ähnlich war. Links von mir brach ein deftiger Slab, vor mir eine Rechte über einer flachen Riffplatte und rechts von mir stand ein älterer Herr neben seinem Boot und schien sich mit der selben Frage zu beschäftigen wie ich: soll ich hier raus gehen?

Nirgends ein anderer Surfer auf dem Wasser, Wellen mit ordentlich Dampf und – wie ich von meinem letzten Besuch wusste – ein paar fiese Felsen knapp unter der Wasseroberfläche (soweit die nicht auch von den Verschiebungen der Erdplatten betroffen waren). Mir war das alleine etwas zu riskant und so beschloss ich, noch einmal zur Halbinsel von heute morgen zu fahren. Dort musste ich dann auf Grund der weiter steigenden Lufttemperaturen erst einmal in Short und T-Shirt wechseln, bevor ich runter an den Strand ging. Dort angekommen machte ich unverzüglich kehrt, schlüpfte in den 4-3er Neo und griff mir mein Longboard.

Mit dem paddelte ich dann kurz später durch die winzige „Hafen“ – Einfahrt nach draußen (hier musste ich nicht mit runden steinigen Hindernissen knapp unter der Wasseroberfläche rechnen). Die ursprünglich anvisierte Reche über dem Riff war dann aber zu inkonstant und so paddelte ich bei spiegelglattem Wasser zu dem Peak in der Mitte der Bucht. Dort hatte ich dann ganz alleine im strahlenden Sonnenschein eine wunderbare Longboard Session und musste nur bei meiner letzten Welle zurück ans Ufer aufpassen, dass ich meine Kurven so setzte, dass ich nicht mit den dort aus dem Wasser guckenden Findlingen kollidierte. Surreal das Ganze aber in der Folge diesen Tages werde ich nie wieder abschätzig über die Ostsee reden.

Es folgten noch ein kitschiger Sonnenuntergang, kurz danach wieder aufkommender Regen, der Swell verabschiedete sich deutlich spürbar und es war Zeit, die Küsten zu wechseln. Wie es da weiter ging erfährst du in Teil 2 des Blogs.

Mehr und größere Bilder kann man hier gucken.

Bild von Tim

Ostsee???

Tim on Do, 08/06/2015 - 09:23

Nein, in Wirklichkeit warst du doch ganz woanders

Bild von tripmaster

ich sagte doch:

tripmaster on Do, 08/06/2015 - 11:21

Nordische Götter, Wurmloch und Plattentektonik. Das erklärt alles.

Bild von boerni

Hab ich hier

boerni on Mi, 08/05/2015 - 19:35

Im Süden so gern gelesen! Abgeliefert!

Bild von coldwaves

Cool Tom...

coldwaves on Mi, 08/05/2015 - 09:59

...mach Lust auf ne Checkerrunde ;-)